The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume
dann kommt jetzt mit. Na los! Ihr alle.«
Ungeachtet ihrer Schmerzen trat sie durch die Fliegengittertür und blieb auf dem oberen Treppenabsatz der Veranda stehen. Am selben Platz hatte sie vor Ewigkeiten, wie es schien, die Matrarch stehen sehen, als sie nach Sylum gekommen war. Fackeln brannten auf dem Dorfplatz wie goldene, blinzelnde Augen. In ihrem Licht saßen die Männer Sylums und warteten auf Neuigkeiten. Jetzt standen sie auf – eine große Welle, die sich vor dem Mutterhaus auftürmte.
»Die Matrarch ist tot!«, rief Gaia laut und deutlich. »Sie ist vor wenigen Minuten gestorben. Ihr Baby aber hat überlebt. Es ist ein Junge.«
Die Männer murmelten, und mittlerweile konnte Gaia einzelne Gesichter ausmachen: Wills und Peters Familie, Roger, Xave. Leon stand direkt hinter ihr, und auch die anderen strömten aus dem Mutterhaus nach draußen. Norris trat neben sie ans Geländer. Er hatte sein Nudelholz dabei, und das kam ihr erst seltsam vor, bis sie auch in der Menge mehrere Mistgabeln und Hämmer bemerkte.
Das ist nicht gut , dachte sie.
»Schaut, dort!«, rief ein Mann.
Hände zeigten nach oben, und Gaia hörte überraschte Schreie. »Sie sind auf dem Glockenturm, und sie sind bewaffnet! Die Frauen werden schießen!«
»Niemand wird schießen!«, rief Gaia. »Wir sind hier, um eine Wahl abzuhalten. Ganz zivilisiert! Die Matrarch hat dem zugestimmt, als sie Chardo Peter und mich aus dem Pranger holen ließ. Gleiche Rechte für alle!«
»Wenn wir alle gleich sind, wieso haben sie dann Waffen?«, rief ein anderer Mann.
»Legt die Bogen weg!«, rief Gaia nach oben und wandte sich um zum Mutterhaus. »Sagt ihnen, sie sollen ihre Waffen weglegen. Lady Roxanne?«
»Weg mit den Waffen, oder wir brennen das Mutterhaus nieder!«, schrie ein Dritter.
Wütendes Geschrei erhob sich.
»Lady Roxanne!«, rief Gaia abermals.
Will kam aus der Tür geschlüpft. »Sie ist drinnen und redet mit den anderen«, sagte er leise.
Gaia ließ den Blick zwischen ihm und Leon hin und her wandern, fragte sich, wessen Wort mehr Gehör finden würde.
»Rede du mit den Männern«, sagte sie dann zu Will. »Rasch.«
Will trat vor ins Fackellicht und hob eine Hand. »Ihr habt sie gehört«, sagte er ruhig und bestimmt. »Sagt allen Bescheid, die noch daheim sind. Wir halten hier gleich eine Wahl ab! In fünfzehn Minuten.«
Die Männer schwärmten aus, und die Fackeln und das Stimmengewirr verloren sich.
Gaia entdeckte Peony weiter hinten auf der Veranda.
»Geh die Glocke schlagen«, sagte Gaia. »Das wird die Leute schon aufwecken!«
Lady Maudie mischte sich aufgeregt ein. »Aber junge Gaia, dafür ist die Matina nicht gedacht …«
»Schlag die Glocke«, beharrte Gaia. »Und hör nicht damit auf. Sie werden schon wissen, was es zu bedeuten hat. Den Bogenschützinnen sagst du, dass sie vom Turm kommen sollen. So etwas können wir jetzt nicht gebrauchen. Will? Kannst du ihr helfen?«
Er und Peony eilten nach drinnen, und Gaia wandte sich Lady Maudie zu, die die Arme vor der Brust verschränkt hatte und ein finsteres Gesicht machte.
»Du begehst einen Fehler«, sagte Lady Maudie. »Ich werde persönlich dafür sorgen, dass die Bogenschützinnen sich bereithalten.« Sie lief zurück ins Mutterhaus. Gaia aber trat die Stufen hinab und legte den Kopf in den Nacken. Von den Bogenschützinnen war nichts mehr zu sehen.
Dann erfüllte das volle Geläut der Glocke die Nacht. Es war eigenartig, sie so oft schlagen zu hören, rhythmisch und drängend in der dunklen Luft. Gaia blickte nach Osten über den Sumpf und erhaschte einen Blick auf den Vollmond, der, hinter Bäumen verborgen, dicht über dem Horizont stand. Sie kämpfte noch immer gegen das blanke Entsetzen der letzten Stunde an und versuchte, die alptraumhaften Bilder aus ihren Gedanken zu bannen. Die Glocke verhallte über dem Sumpf, und die nun folgende tiefe Stille wurde nur vom gespenstischen Ruf eines Seetauchers unterbrochen. Gaia lauschte, wartete auf weitere Glockenschläge, doch es war vorbei. Sie bekam eine Gänsehaut.
»Lass mich dir helfen«, sagte Leon, als sie wieder die Treppe hochwollte.
»Nie hätte ich gedacht, dass ich diesen Tag noch erlebe«, sagte Norris fast flüsternd und brachte ihr einen Stuhl.
»Es ist noch nicht vorbei«, sagte sie.
»Könntest du ihr etwas zu essen bringen, Norris?«, fragte Leon.
»Was ich wirklich gut gebrauchen könnte, wäre noch etwas Weidenrindentee. Könntest du mir einen besonders starken machen?«
»Wird
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