The Dead Forest Bd. 2 Das Land der verlorenen Träume
»Wir müssen uns erst besser kennenlernen. Wie ist dein Name, Kind?«
Gaia schaute nervös zur Fliegengittertür, die anderen waren aber schon außer Sicht. Sie wollte ihnen folgen, doch ihre Beine waren immer noch zu schwach. »Wohin gehen sie? Ich muss bei meiner Schwester bleiben.«
»Sie ist also nicht dein eigenes Kind?«, fragte die Matrarch.
»Nein. Natürlich nicht.« Sie merkte, dass Chardo verblüfft dreinschaute, so als sei er derselben Fehleinschätzung erlegen. »Ich hätte ihr doch nie Kaninchenbrühe gegeben, wenn ich sie hätte stillen können.«
»Ich wusste nicht recht, was ich davon halten sollte«, gab er zu.
»Offensichtlich hast du einiges hinter dir«, unterbrach die Matrarch und hob die Hand. »Lass mich dein Gesicht sehen.«
Gaia wich ans Geländer zurück, um der Berührung zu entgehen.
»Nein«, sagte sie.
»Ah!«, sagte die Matrarch überrascht und ließ die Hand sinken.
»Du musst kooperieren«, mahnte Chardo.
Kooperation konnte aber auch gefährlich sein. Das hatte Gaia gelernt. »Ich muss bei meiner Schwester bleiben«, wiederholte sie. »Bringt mich zu ihr, dann werde ich kooperieren.«
Die Matrarch trommelte mit ihren Fingern auf die Spitze ihres Stocks. »Ich fürchte, so wird das nichts mit uns. Wie alt bist du? Woher kommst du?«
»Ich bin Gaia Stone«, sagte sie. »Sechzehn Jahre alt. Vor zwei Wochen habe ich Wharfton verlassen. Jetzt lasst mich hinein. Wir verschwenden unsere Zeit.«
Da bildete sich eine nachdenkliche Falte auf der Stirn der Matrarch. »Wieso nur kommt mir dieser Name bekannt vor? Wer sind deine Eltern?«
»Meine Eltern waren Bonnie und Jasper Stone.« Da kam Gaia eine Idee. »Kennt Ihr vielleicht meine Großmutter, Danni Orion? Ist sie hier?«
Die Matrarch griff nach ihrer Kette und brauchte einen Moment, ehe sie antwortete. »Danni Orion war vor mir die Matrarch. Es tut mir leid, dir sagen zu müssen, dass sie seit nunmehr zehn Jahren tot ist.«
Als die Matrarch die Kette wieder losließ, erhaschte Gaia zum ersten Mal einen klaren Blick darauf. Ein vergoldetes Monokel hing daran, und erst war Gaia sprachlos, denn es war ihr nicht unbekannt. Sie hatte es schon einmal gesehen, vor vielen Jahren – eine ihrer frühesten Erinnerungen war, wie ihre Großmutter dieses Monokel in der Sonne hatte glitzern lassen.
»Ihr tragt das Monokel meiner Großmutter!«, staunte Gaia. Erloschen war die Hoffnung, ihre Großmutter jemals kennenzulernen. Dafür wusste sie nun mit Gewissheit, dass dies der Ort war, nach dem sie wochenlang im Ödland gesucht hatte: Dies war der Tote Wald, in dem ihre Großmutter gelebt hatte, der Ort, den Gaia nach dem Willen ihrer Mutter und der alten Meg hatte finden sollen. Nachdenklich ließ sie den Blick über die hohen, schattigen Bäume und die grünen Rasenflächen vor den Hütten schweifen. Das Einzige, was hier tot war, war die Aussicht auf ein Wiedersehen mit ihrer Großmutter Danni O., so viel war klar.
»Gaia Stone«, sagte die Matrarch langsam, als bereite der Name ihr Schwierigkeiten. »Deine Großmutter hat mir von deiner Familie erzählt. Ich glaube, man hat euch einen Bruder genommen. Jetzt fällt es mir wieder ein: Sie haben dir das Gesicht verbrannt, nicht wahr?«
Die Zeit schien für ein paar Momente stillzustehen, und Gaia schaute der Frau in die blinden Augen. Es war schon mehr als seltsam, am Ende dieser langen Reise auf jemanden zu stoßen, der von ihrer Narbe wusste, sie jedoch nicht sehen konnte und auch nicht zu berühren brauchte. Dennoch strich sie sich automatisch das Haar über die linke Gesichtshälfte.
»Zwei Brüder«, korrigierte sie die Matrarch, als ob es darauf noch ankäme. »Die Enklave hat mir beide Brüder genommen. Einen habe ich nie kennengelernt. Der andere floh kurz vor mir ins Ödland.«
»Weshalb hat man dich nicht in die Enklave gebracht? Das verstehe ich nicht.«
»Ich kam nicht dafür in Betracht – wegen der Verbrennungen in meinem Gesicht. Ansonsten wäre vielleicht auch ich vorgebracht worden.«
»Wo sind deine Eltern jetzt?«, fragte die Matrarch.
»Sie sind in der Enklave gestorben. Mein Vater wurde ermordet, meine Mutter starb bei der Geburt meiner Schwester.«
»Das tut mir leid«, sagte die Matrarch.
Gaia starrte ausdruckslos zur Fliegengittertür. »Bitte«, flehte sie. »Lasst mich zu meiner Schwester! Ich muss wissen, dass es ihr gut geht.«
»Du kannst fürs Erste nichts mehr für sie tun, und es gibt noch etwas, das wir klären müssen«, sagte die Matrarch
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