Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
The Doors

The Doors

Titel: The Doors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greil Marcus
Vom Netzwerk:
ausgeprägter als jemals zuvor – doch seine gewaltige, göttergleiche Stimme ist nichts im Vergleich zu der noch stärkeren, ihn mit Hohn und Spott überschüttenden Menge.
    Morrison improvisiert erneut Textzeilen, um die Menge zum Schweigen zu bringen, um den Song von den Toten auferstehen zu lassen: »A creature is nursing its child, soft arms around the head and the neck, a mouth to connect, leave this child alone, this one is mine, I’m taking her home, back to the rain« – er klingt wie ein Cowboy, der zu viele Bücher gelesen hat. Es folgen lange, unverständliche Passagen von Morrison, und dann dringt das Bild des Regens durch die Störgeräusche des Publikums, und wie aus dem Nichts beginnt eine Geschichte Gestalt anzunehmen.
    »Stop the car«, sagt Morrison schlicht. Es ist eine Standardszene aus einem Film Noir. »Rain. Night« – Morrison gibt einen gedämpften Schrei von sich. Es könnte eine Szene aus Edgar G. Ulmers Detour sein: der Killer, wie er geradewegs aus dem Straßengraben mit der Leiche darin herausfährt, einem Straßengraben, der sich nun in Queens befindet, was noch schlimmer ist. »I’m getting out. I can’t take it anymore. I think there’s somebody coming.« Und dann, halb gesungen, halb gesprochen: »There’s nothing you can do about it.«
    In der Halle ist es ruhig; die Band gibt keinen Mucks von sich, und eine Sekunde lang spricht niemand, keiner schreit. Dieser Moment ist so ungewöhnlich, dass einem die Stille absolut vorkommt. Dann schreit jemand etwas über Kuchen. Die Irre beginnt wieder zu kreischen – ihre Schreie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Wäre sie lediglich ein Gesicht, so könnte man wegschauen. In Morrisons Hinterkopf befindet sich bereits eine Geschichte über »The End«, die er einem Freund im darauffolgenden Jahr erzählen sollte. »Eines Abends war ich in Westwood im Kino«, sollte er sagen, »und ich ging dort in einen Buchladen oder in so ein Geschäft, wo sie Töpferwaren und Kalender und allen möglichen Krimskrams verkaufen, du weißt schon, was ich meine ... und ein sehr attraktives und intelligentes Mädchen – intelligent im Sinne von aufgeweckt und offen – glaubte, mich erkannt zu haben, und sie kam zu mir rüber, um Hallo zu sagen. Und sie fragte mich nach genau diesem Song. Sie machte gerade einen kleinen Ausflug, in Begleitung einer Pflegerin. Die Ärzte vom neuropsychiatrischen Institut der UCLA hatten ihr eine Stunde Ausgang gewährt. Offensichtlich hatte sie an der UCLA studiert und war wegen schwerer Drogen oder so was ausgeflippt, und deshalb hatte sie sich entweder selbst eingewiesen, oder jemand anders hatte sich um sie gekümmert und sie dort einweisen lassen. Aber wie dem auch sei, sie sagte, ›The End‹ sei einer der Lieblingssongs vieler junger Patienten in ihrer Abteilung. Zuerst dachte ich: Oh, Mann ... und das war, nachdem ich mich schon eine Weile mit ihr unterhalten und ihr gesagt hatte, dass der Song alles Mögliche bedeuten könne, dass er eine Art Labyrinth oder Puzzle sei und dass jeder ihn auf seine persönliche Situation beziehen müsse. Mir war nicht klar gewesen, dass die Leute Songs dermaßen ernst nehmen, und ich fragte mich, ob ich beim Songschreiben vielleicht die möglichen Folgen bedenken sollte ...«
    »The killer awoke before dawn«, sagt Morrison hölzern. Er scheint den Song voranzutreiben, so als wolle er diesen Teil möglichst schnell hinter sich bringen. Die Band macht weiterhin keinen Mucks. »He took a face from the ancient gallery«, verkündet Morrison. »And he walked on down the hall«, antworten ihm daraufhin gleich mehrere Männerstimmen. »And he walked on down the hall«, sagt Morrison, als hätten ihn die Zwischenrufer an das erinnert, was er sagen muss. » WALKED ON DOWN THE HALL !«, kreischt die Frau. Man kann nicht sagen, ob Morrison das Publikum verhöhnt oder sich selbst, denn er weiß, dass jedes Wort retourniert wird, begleitet von einem dümmlichen Grinsen auf den Gesichtern der Leute im Publikum. »And he walked on down the hall« ist nun die Pointe von etwas, was ursprünglich kein Witz gewesen ist. Die Band improvisiert hinter ihm eine Art Begleitung. »Father«, sagt Morrison. »Yes, son«, antwortet ein Typ im Publikum. »YES SON!«, antwortet die Frau. »I want to kill you«, hört man einen Mann im Publikum sagen. »I want to kill you«, wiederholt Morrison mit ausdrucksloser Stimme. Er versucht, den Song zurückzuerobern: »Mooootherrrr –«
    Schreie steigen empor,

Weitere Kostenlose Bücher