The Homelanders, Band 2: The Homelanders - Auf der Flucht (Bd. 2) (German Edition)
rufen.
Zuerst griff ich in die Taschen seiner Windjacke. Sie waren leer. Dann durchsuchte ich seine Hosentaschen und fand einen einzelnen Schlüssel an einer Kette. Er war nicht gekennzeichnet, aber auf der Kette stand »Harley-Davidson Motorcycles«. Ich steckte ihn ein. Zumindest würde der Typ mir ohne Schlüssel nicht so schnell folgen können.
Ich suchte weiter und fand einen silbernen Geldclip mit ungefähr 200 Dollar in einer anderen Hosentasche. Ja, ich weiß: Du sollst nicht stehlen. Aber das hier fühlte sich nicht an wie Stehlen. Der Typ war schließlich ein Killer – mein Killer, wenn es nach ihm gegangen wäre. So viel war er mir schuldig. Ich stopfte das Geld zu dem Schlüssel in meine Tasche.
In diesem Moment stöhnte und bewegte sich der Killer. Ich hielt inne und beobachtete ihn. Seine Hand hob sich vom Boden und gestikulierte schwach in der Luft herum. Seine Augenlider flatterten, und seine blutigen Lippen öffneten sich. Langsam kam er wieder zu sich. Ich musste verschwinden!
Ich hob das Messer vom Boden auf und schob die scharfe Klinge so unter meinen Gürtel, dass sie in meiner Hosentasche verschwand. Dann zog ich die Fleecejacke weiter nach unten, um den Griff zu verbergen. Da sah ich das Blut an meinen Händen. Das Blut des Killers, vermischt mit meinem eigenen – ich hatte mir die Fingerknöchel aufgeschürft. Ich drehte mich zum Waschbecken und ließ kaltes Wasser über meine Hände laufen. Es brannte wie Feuer, aber ich biss die Zähne zusammen. Das Wasser färbte sich rot und verschwand wirbelnd im Abfluss.
Noch einmal spritzte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht, wie ich es getan hatte, bevor der Killer hereingekommen war. Noch einmal zog ich ein paar Papiertücher aus dem Spender und trocknete mich schnell ab. Und noch einmal schaute ich in den Spiegel.
Ich sah sehr blass aus. Meine Wangen waren aschfahl, nur hier und da ein paar hektische rote Flecken. Schweiß rann mir in einem dünnen Strich die Schläfen hinab. Aber meine Augen zeigten Entschlossenheit.
Der Killer stöhnte wieder schwach und bewegte sich auf dem Boden. Ich wischte mir die Schweißspur aus dem Gesicht. Zeit zu gehen.
Ich stieß die Tür auf und lief über den kurzen Gang, der in den Hauptteil des Gebäudes im zweiten Stock führte. Es war eine ganz gewöhnliche Bibliothek: ein großer Raum mit Bücherregalen, vor denen Lesetische standen. Dort saßen Leute, die über Büchern brüteten und sich Notizen machten. Rechts von mir war ein Informationsschalter, hinter dem eine Bibliothekarin auf einem hohen Hocker saß. Die Außenwände bestanden fast vollständig aus großen Stahlrahmenfenstern,durch die man den Himmel, die Häuser des Stadtzentrums und die Hauptstraße von Whitney sehen konnte.
Es kam mir seltsam vor, dass hier alles so normal, so ruhig und friedlich war, wie es sich für eine Bibliothek gehörte. Mir war, als hätte der ganze Raum hören müssen, wie ich mit dem Killer in der Toilette gekämpft hatte. Aber niemand hatte etwas bemerkt. Ich schaute zu den Ausgängen. Zwei Treppen führten hinunter ins Erdgeschoss, eine links von mir und eine rechts, direkt neben dem Informationsschalter. Ich wollte die Treppe zu meiner Linken nehmen.
Doch dann hielt ich inne.
Dort drückte sich ein Mann herum. Ein kleiner, drahtiger Mann mit olivbrauner Haut und dünnem Schnurrbart. Er trug eine Kakihose und eine braune Jacke, lehnte an einem der Regale und blätterte in einem Lexikon.
Als ich mich zu der anderen Treppe umdrehte, sah ich einen weiteren Mann. Er saß an einem Lesetisch in der Nähe des Treppenaufgangs, war ebenfalls klein, aber stämmig und muskulös und hatte einen durchtriebenen Gesichtsausdruck. Sein Kopf war kantig, geformt wie ein Block, sein Haar kurz und die Haut an seinen Wangen ganz spröde. Er starrte auf eine Zeitung, die aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch lag.
Mein Blick wanderte wieder zu dem Mann mit dem Schnurrbart, dann zurück zu dem Stämmigen rechts von mir.
Es waren Homelanders. Ich wusste es sofort.
Sie hatten beide Ausgänge versperrt.
Ich saß in der Falle.
3
D AS VERLORENE J AHR
Mein Name ist Charlie West. Bis vor einem Jahr war ich ein ganz normaler Junge. Ich war 17 und lebte mit meiner Mom, meinem Dad und meiner nervigen Schwester Amy in einem Haus in Spring Hill. Unter der Woche ging ich zur Highschool und sonntags in die Kirche. Ich hatte den heimlichen Wunsch, zur Air Force zu gehen und Kampfpilot zu werden – eine coole Möglichkeit, meinem Land zu
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