The New Dead: Die Zombie-Anthologie
noch immer Edwards Gesicht, doch er sah ihm nicht mehr sehr ähnlich. „Sie sind ein kluger Junge, Nightingale“, erklärte derFremde im Körper seines Patenonkels. „Ich hätte merken müssen, dass sich das Beatmungsgerät nicht wieder eingeschaltet hat, aber wie Sie schon vermutet haben, hat dieser Fleischklops keine Atemprobleme mehr. Tatsächlich braucht er überhaupt nicht mehr zu atmen.“
„Was ist mit ihm passiert?“ Die Pistole war weiterhin auf die Stelle zwischen den Augen des alten Mannes gerichtet. „Sprich schon!.“
Ein langsames, kaltes Lächeln verzog die Lippen. „Dazu kann ich nichts sagen, das ist eher eine Sache zwischen ihm und seinem Gott. Vielleicht spielt er gerade mit einigen anderen Engeln zusammen Harfe, oder er kreischt und windet sich in den tiefsten Abgründen der Hölle …“
„Mistkerl!“ Nightingale legte den Sicherungshebel um. „Du lügst! Er ist da zusammen mit dir drin. Und ich kenne ein Dutzend Leute, die dich dazu bringen können, da ganz schnell wieder rauszukommen.“
Das Wesen schüttelte den Kopf. „Ach, Mr. Nightingale, Sie haben zu lange den Detektiv für okkulte Dinge gespielt. Deshalb meinen Sie, wirklich in einer Geschichte zu stecken, die ein Happy End hat. Wir haben nicht gelernt, von den Lebenden Besitz zu ergreifen.“ Das Lächeln kehrte zurück, spöttisch und triumphierend. „Wir haben gelernt, in die Körper der kürzlich Verstorbenen einzudringen. Ein ziemlicher Durchbruch. Es ist viel, viel einfacher, als von einem Körper Besitz zu ergreifen, und man kann uns auch nicht gewaltsam vertreiben, weil der ehemalige … nun ja … Mieter ausgezogen ist. Ihr Onkel Edward hatte einen Schlaganfall. Wir alle haben um ihn herumgestanden und gewartet, bis er starb. Ach, und glauben Sie mir, wir haben ihm immer wieder erzählt, was wir tun würden, auch in diesem Moment. Genau wie Sie hat er uns über die Jahre viel Ärger gemacht, und wie Sie wissen, haben wir Toten ein gutes Gedächtnis. Als wir ihn schließlich nicht mehr quälen konnten, nun, da gehörte sein Körper uns. Mein Wesen hat ihn bereits gekräftigt. Er braucht nicht zu atmen, und wie Sie sehen können …“ Das Wesen erhob sich vollkommen ruhig aus dem Rollstuhl und stand da, ohne auch nur im Geringsten zu wanken. Nightingale wich einige Schritte zurück, ohne jedoch die Pistole zu senken. „ … braucht er auch keine Hilfsmittel mehr, um sichfortzubewegen“, schloss das Wesen. „Ich bin mir sicher, dass ich diesen Körper jahrelang werde benutzen können, ehe ich mir einen anderen suchen muss. Ich habe also Zeit genug, um zu allen alten Freunden von Edward Arvedson Kontakt aufzunehmen und sie zu täuschen.“
„Wer bist du?“ Nightingale kämpfte gegen eine Verzweiflung an, die ihn wie ein eisiger Wind peitschte. „Bei der allumfassenden Liebe Gottes, was wollt ihr Monster?“
„Wer ich bin? Nur einer von den Hungrigen. Einer von den Unversöhnlichen.“ Das Geschöpf setzte sich wieder, wobei der Rollstuhl leise quietschte. „Was wir wollen? Nicht ruhig abgehen, wie ihr das von uns wollt – einfach im Schatten des Nichts verschwinden, sodass ihr anderen, die ihr zurückbleibt, das Licht und die Wärme genießen könnt.“ Das Wesen hob seine knorrigen Hände – Edwards Hände, wie sie es noch vor ganz kurzer Zeit gewesen zu sein schienen – in einer gierig zupackenden Geste. „Wie Sie schon sagten: Dies ist ein Krieg. Wir wollen das, was ihr habt.“ Das Wesen lachte, und zum ersten Mal hatte die Stimme nicht mehr den vertrauten Klang seines Patenonkels. „Wir werden es uns von euch holen. Von euch allen.“
„Das glaube ich nicht. Denn wenn ihr Körper braucht, um hier zu überleben, dann kann man euch diese Körper auch wieder wegnehmen.“ Noch während Nightingale sprach, blitzte seine Pistole krachend auf, und das Wesen in der Hülle seines Patenonkels taumelte und sackte mit auf die Brust gesenktem Kinn in die Polster des Rollstuhls zurück. Einen Moment später kam das so vertraute Gesicht grinsend wieder hoch.
„Jenkins“, sagte es, „wenn Sie bitte so freundlich wären …“
Etwas schlug Nightingale die Pistole aus der Hand, und eine Sekunde später krachte etwas mit der Gewalt eines Eisenträgers gegen seinen Hals. Er kämpfte, hatte jedoch das Gefühl, von einem ausgewachsenen Gorilla festgehalten zu werden. Seine hilflosen Versuche, sich zu befreien, erlaubten es ihm lediglich, sich so weit im Griff seines Bändigers zu drehen, dass er in Jenkins’
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