The Stand. Das letze Gefecht
war so schwarz wie das Pik-As geworden, und er war gestorben. Lloyd hatte sehnsüchtig zu Trasks halb gegessenem Frühstück gesehen, aber es war unerreichbar für ihn. Gestern nachmittag waren immer noch ein paar Wärter auf dem Korridor gewesen, aber sie brachten niemanden mehr zur Krankenstation, ganz gleich wie krank. Vielleicht starben sie auch schon unten in der Krankenstation, und die Wärter hatten beschlossen, sich nicht mehr die Mühe zu machen. Niemand kam, um Trasks Leiche wegzuschaffen.
Gestern am späten Nachmittag schlief Lloyd ein wenig. Als er aufwachte, waren die Korridore des HST wie ausgestorben. Das Abendessen war nicht serviert worden. Jetzt hörte sich der Trakt tatsächlich wie das Löwenhaus im Zoo an. Lloyd hatte nicht genug Phantasie sich auszumalen, wieviel wilder es sich angehört hätte, wenn der HS -Trakt voll belegt gewesen wäre. Er hatte keine Ahnung, wie viele noch lebten und kräftig genug waren, nach ihrem Essen zu schreien, aber das Echo täuschte eine größere Anzahl vor. Lloyd wußte nur, daß Trasks Leiche rechts nebenan Fliegen anzog. Die Zelle links von ihm war leer. Ihr früherer Insasse, ein junger, NiggerSlang redender Schwarzer, der versucht hatte, eine alte Dame zu berauben, und sie statt dessen getötet hatte, war schon vor Tagen in die Krankenstation gebracht worden. Gegenüber sah er zwei leere Zellen und die herabbaumelnden Beine eines Mannes, der seine Frau und seinen Schwager im Verlauf eines Pokeno-Spiels um Centstücke umgebracht hatte. Der Pokeno-Killer, wie er genannt wurde, mußte sich mit seinem Gürtel oder, wenn man ihm den weggenommen hatte, mit der eigenen Hose erhängt haben. Später am Abend, als sich das Licht automatisch eingeschaltet hatte, aß Lloyd von den Bohnen, die er vorgestern aufbewahrt hatte. Sie schmeckten scheußlich, aber er aß sie trotzdem. Er spülte sie mit Wasser aus der Kloschüssel runter, kroch dann auf die Pritsche, zog die Knie an die Brust und verfluchte Poke, daß er ihm das alles eingebrockt hatte. Es war alles Pokes Schuld. Lloyd wäre allein nie ehrgeizig genug gewesen, sich mehr als kleinen Ärger einzuhandeln.
Mit der Zeit hatte das Geschrei nach Essen nachgelassen, und Lloyd vermutete, daß er nicht der einzige war, der sich einen kleinen Vorrat angelegt hatte. Aber er hatte nicht viel. Wenn er wirklich geglaubt hätte, daß es so kommen würde, hätte er sich mehr zurückgelegt. Und irgend etwas spukte ihm im Kopf herum, dem er nicht ins Gesicht sehen wollte. Es war, als würden im Hinterzimmer seines Verstands Vorhänge flattern, hinter denen etwas verborgen war. Man konnte nur die knochigen Skelettfüße des Dings unter dem Saum der Vorhänge sehen. Aber mehr wollte man auch nicht sehen. Denn die Füße gehörten einem nickenden ausgemergelten Leichnam, und der hieß HUNGERTOD!
»O nein«, sagte Lloyd. »Jemand wird kommen. Ganz bestimmt. So sicher, wie Scheiße am Bettlaken klebt.«
Aber er mußte immer wieder an das Kaninchen denken. Er konnte nicht anders. Er hatte das Kaninchen samt Käfig in der Schule bei einer Tombola gewonnen. Sein Vater wollte nicht, daß er es behielt, aber Lloyd hatte ihn irgendwie überzeugt, daß er es versorgen und von seinem eigenen Taschengeld Futter kaufen würde. Er liebte das Kaninchen, und er kümmerte sich darum. Anfangs. Das Schlimme war, daß er nach einiger Zeit alles vergaß. So war es immer gewesen. Und eines Tages, als er in dem alten Autoreifen schaukelte, der hinter ihrem schäbigen Haus in Marathon, Pennsylvania, an einem verkrüppelten Ahornbaum hing, war er plötzlich kerzengerade hochgeschreckt und hatte an das Kaninchen gedacht. Er hatte schon seit... nun, mehr als zwei Wochen nicht mehr an das Kaninchen gedacht. Er hatte es einfach völlig vergessen.
Er lief zu dem kleinen Schuppen neben der Scheune. Es war Sommer, genau wie jetzt, und als er in den Schuppen trat, schlug ihm der Geruch des toten Kaninchens entgegen wie ein gewaltiger rechter Schwinger. Das Fell, das er so gern gestreichelt hatte, war zottig und verdreckt. In den Höhlen, in denen die hübschen rosa Augen des Kaninchens gewesen waren, krochen geschäftige weiße Maden. Die Pfoten des Tieres waren aufgekratzt und blutig. Er versuchte sich einzureden, daß die Pfoten blutig waren, weil es versucht hatte, sich aus dem Käfig zu befreien, und so war es zweifellos auch gewesen, aber eine flüsternde Stimme in einem dunklen, kranken Teil seines Verstands sagte, daß das Kaninchen im letzten
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