Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
The Stand. Das letze Gefecht

The Stand. Das letze Gefecht

Titel: The Stand. Das letze Gefecht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
nicht begreifen zu können, wie so vieles andere. Damals, 1984, als sie hundert geworden war, hatten Cathy und David ihr einen Fernseher angeboten, und darauf hatte sie sich eingelassen. Das Fernsehen war ein netter Zeitvertreib, wenn man ganz allein war. Aber als Christopher und Susy gekommen waren und gesagt hatten, sie wollten ihr Haus an die städtische Wasserversorgung anschließen, hatte Abby ebenso abgelehnt wie beim freundlichen Angebot von Molly und Jim, ihr ein Wasserklosett zu bauen. Sie hatten gemeint, ihr Brunnen wäre zu seicht und könnte austrocknen, wenn es wieder einen Sommer wie den 1988 gab, als die Dürre kam. Das stimmte, aber sie sagte trotzdem nein. Molly und Jim dachten natürlich, daß Abby nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte, daß sie Schicht für Schicht senil wurde, wie man Wachs auf den Fußboden auftrug, aber sie selbst war der Meinung, daß ihr Verstand so gut wie eh und je war.
    Sie erhob sich vom Klositz, streute Zitruspulver in das Loch und ging langsam wieder hinaus in den Sonnenschein. Sie duftete ihren Abort immer ein, aber es war trotzdem eine stinkige alte Bruchbude, wie sauber sie auch duften mochte.
    Es war, als hätte ihr die Stimme Gottes ins Ohr geflüstert, als Chris und Susy ihr Haus an die städtische Wasserversorgung anschließen lassen wollten ... die Stimme Gottes, schon damals, als Molly und Jim ihr den Porzellanthron mit dem Knopf der Wasserspülung bringen wollten. Gott sprach zu den Menschen; hatte er nicht zu Noah gesprochen, ihm von der Arche erzählt und ihm genau gesagt, wie lang, breit und tief sie sein mußte? Jawohl. Und sie glaubte, dass er auch zu ihr gesprochen hatte, nicht aus einem brennenden Busch oder einer Feuersäule, sondern mit einer stillen, leisen Stimme, die sagte: Abby, du wirst deine Handpumpe brauchen. Genieß deinen elektrischen Strom, Abby, aber sorge dafür, daß deine Öllampen voll und die Dochte in Ordnung sind. Laß deinen Eisschrank so, wie ihn deine Mutter vor dir gehabt hat. Und laß dir von den jungen Leuten nichts aufschwatzen, Abby, das gegen meinen Willen ist. Sie sind dein Fleisch und Blut, aber ich bin dein Vater.
    Sie blieb mitten auf ihrem Hof stehen und sah auf das Maisfeld hinaus, das nur vom Sandweg geteilt wurde, der nach Duncan und Columbus führte. Drei Meilen vom Haus entfernt war der Weg asphaltiert. Der Mais stand gut in diesem Jahr, eine Schande, dass außer den Saatkrähen niemand da war, um ihn zu ernten. Es war ein trauriger Gedanke, daß die großen Erntemaschinen in diesem September in den Scheunen stehenbleiben mußten; traurig, daß es kein Maisschälen und keine Tänze auf der Tenne geben würde. Traurig, daß sie zum ersten Mal in den letzten hundertacht Jahren nicht hier in Hemingford Home sein würde, um den Wechsel der Jahreszeiten zu sehen, wenn der Sommer dem fröhlichen, heidnischen Herbst Platz machte. Sie würde diesen Somme r um so mehr lieben, weil es ihr letzter war - das spürte sie ganz deutlich. Und sie würde nicht hier zur letzten Ruhe gebettet werden, sondern weiter im Westen, in einem fremden Land. Das war bitter. 
    Sie schlurfte zur Reifenschaukel hinüber und schubste sie an. Es war ein alter Traktorreifen, den ihr Bruder Lucas 1922 hier aufgehängt hatte. Das Seil war seitdem viele Male ausgewechselt worden, aber der Reifen niemals. Das Leinen kam an vielen Stellen durch, und am inneren Ring war eine tiefe Einbuchtung, wo Generationen junger Hintern gesessen hatten. Unter dem Reifen war eine lange, staubige Narbe im Boden, wo das Gras jeden Versuch zu wachsen längst aufgegeben hatte, und am Ast, an dem die Seile festgemacht waren, war die Rinde abgeschabt und der weiße Knochen des Holzes zu sehen. Das Seil knarrte leise, und diesmal sagte sie laut:
    »Bitte, o Herr, o Herr, nur wenn ich muß, bitte, laß diesen Kelch an mir vorübergehen, wenn Du kannst. Ich bin alt, ich habe Angst, und am liebsten möchte ich hier zu Hause begraben werden. Ich bin bereit, jetzt gleich zu gehen, wenn Du es willst. Dein Wille geschehe, Herr, aber Abby ist eine müde alte schwarze Frau. Dein Wille geschehe.«
    Kein Laut, nur das leise Knarren des Seils und das Krächzen der Krähen im Maisfeld. Sie lehnte die alte, gefurchte Stirn gegen die alte, gefurchte Borke des Apfelbaums, den ihr Vater vor so langer Zeit gepflanzt hatte, und weinte bitterlich.

    In dieser Nacht träumte sie, daß sie wieder die Stufen zur Halle der Farmervereinigung hinaufging, eine junge, hübsche Abagail, im dritten

Weitere Kostenlose Bücher