The Vampire Journals - Verwandelt: Band 1 (German Edition)
Sie blieb sitzen und wartete.
Nichts.
* * *
Zum letzten Mal an diesem Schultag ertönte der Gong, und Caitlin stand vor dem ihr zugewiesenen Spind. Sie gab die Zahlenkombination ein, die auf dem Blatt Papier in ihrer Hand stand, drehte an dem Knauf und zog. Es funktionierte nicht. Also gab sie die Kombination noch einmal ein. Diesmal ging die Tür auf.
Sie starrte in den leeren Metallspind. Die Innenseite der Tür war voller Graffiti. Ansonsten war der Schrank völlig kahl. Bedrückend. Sie dachte an die anderen Schulen, wo sie immer sofort ihren Spind gesucht und sich die Kombination eingeprägt hatte. Dort hatte sie die Türen mit Fotos von Jungs aus Hochglanzmagazinen beklebt. Das war ihre Art gewesen, sich häuslich einzurichten, einen vertrauten Ort in der Schule zu finden.
Aber irgendwann im Laufe der Zeit hatte ihre Begeisterung nachgelassen. Sie fragte sich allmählich, warum sie sich noch die Mühe machen sollte, da es doch bloß eine Frage der Zeit war, bis sie wieder umziehen musste. Also ließ sie sich immer mehr Zeit mit dem Dekorieren ihres Spinds.
Diesmal würde sie sogar ganz darauf verzichten. Mit einem lauten Knall warf sie die Tür zu.
»Caitlin?«
Sie fuhr zusammen.
Direkt neben ihr stand Jonah.
Er trug eine große Sonnenbrille, und die Haut darunter sah geschwollen aus.
Als sie ihn so dort stehen sah, war sie verwirrt – und sie freute sich wahnsinnig. Es überraschte sie, wie sehr sie sich freute. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus, und ihr Mund wurde trocken.
Es gab so viel, was sie ihn fragen wollte: Bist du gut nach Hause gekommen? Hast du diese Schläger noch mal gesehen? Hast du gemerkt, dass ich da war … Aber irgendwie schafften die Worte es nicht von ihrem Gehirn bis zu ihrem Mund.
Ein »Hallo« war alles, was sie herausbekam.
Er starrte sie an. Es sah aus, als ob er nicht wusste, womit er anfangen sollte.
»Ich habe dich heute im Unterricht vermisst«, sagte sie und bereute sofort ihre Wortwahl.
Dämlich. Du hättest sagen sollen: »Ich habe dich nicht im Unterricht gesehen.« »Vermisst« klingt verzweifelt.
»Ich bin zu spät gekommen«, erklärte er.
»Ich auch.«
Unbehaglich trat er von einem Fuß auf den anderen. Sie stellte fest, dass er seine Bratsche nicht dabeihatte. Also war es wirklich geschehen. Es war nicht bloß ein böser Traum gewesen.
»Bist du okay?«, fragte sie.
Sie deutete auf seine Sonnenbrille.
Langsam nahm er sie ab.
Sein Gesicht war voller Blutergüsse und dick angeschwollen. An seiner Stirn und unter einem Auge klebten Pflaster.
»Mir ging’s schon mal besser«, sagte er. Er wirkte verlegen.
»Oh mein Gott!«, stieß sie hervor und fühlte sich schrecklich. Ihr war klar, dass sie froh darüber sein sollte, dass sie ihm geholfen und ihn vor Schlimmerem bewahrt hatte. Aber stattdessen hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht früher dort gewesen war und sich später nicht um ihn gekümmert hatte. Aber nachdem … es passiert war, hatte sich alles in einer Art Nebel abgespielt. Sie konnte sich nicht einmal richtig daran erinnern, wie sie nach Hause gekommen war. »Es tut mir so leid.«
»Hast du gehört, was passiert ist?«, wollte er wissen.
Er sah sie mit seinen strahlenden grünen Augen aufmerksam an, und sie hatte das Gefühl, als ob er sie auf die Probe stellte. Als ob er erreichen wollte, dass sie zugab, dort gewesen zu sein.
Hatte er sie etwa gesehen? Das konnte doch eigentlich nicht sein. Schließlich war er bewusstlos gewesen. Oder etwa nicht? Hatte er vielleicht beobachtet, was danach vorgefallen war? Sollte sie besser zugeben, dass sie dort gewesen war?
Einerseits brannte sie darauf, ihm zu erzählen, wie sie ihm geholfen hatte, denn dann wäre er ihr sicher dankbar. Andererseits konnte sie ihm auf gar keinen Fall erklären, was sie getan hatte, ohne als Lügnerin oder Sonderling dazustehen.
Nein, beschloss sie für sich. Du kannst es ihm nicht sagen. Es geht nicht.
»Nein«, log sie. »Vergiss nicht, dass ich hier ja niemanden kenne.«
Es folgte eine Pause.
»Ich wurde angegriffen«, erklärte er dann. »Auf dem Nachhauseweg von der Schule.«
»Es tut mir so leid«, versicherte sie noch einmal. Sie klang wie eine Idiotin, die immer wieder denselben dummen Satz wiederholt, aber sie wollte nichts sagen, was zu viel verraten könnte.
»Ja, mein Dad ist ziemlich sauer«, fuhr er fort. »Sie haben mir meine Bratsche weggenommen.«
»Das ist echt übel. Wirst du eine neue bekommen?«
Jonah
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