The Walking Dead: Roman (German Edition)
ein und verdrängt alle anderen Gedanken.
Nur Nicks Wehklagen durchdringt die Benommenheit, die von Brian Besitz genommen hat.
Nicks lautes Heulen wird ab und zu von Schluchzern unterbrochen. Er ist noch immer auf den Knien. Jegliche Vernunft hat Nick Parsons verlassen, und bei dem Anblick des Gemetzels vor seinen Augen jammert und winselt er immer wieder laut auf. Er schwätzt irgendeinen Unsinn, während ihm der Rotz aus der Nase läuft – teils Stoßgebet, teils Flehen. Sein Atem wird in der kalten Luft der Abenddämmerung zu Dampf, und er richtet den Blick flehend zum Himmel hinauf.
Ohne nachzudenken hebt Brian seine Waffe und drückt, angetrieben von einem unbändigen Zorn, ab. Ein einziger Schuss aus nächster Nähe in Nick Parsons’ Schläfe.
Ein Strahl roter Flüssigkeit schießt mit der Wucht eines Rammbocks durch die Luft. Die Kugel zerfetzt Nicks Gehirn und tritt an der anderen Seite wieder aus, ehe sie sich in einer Baumwurzel vergräbt. Nick sackt in sich zusammen. Seine Augen rollen nach hinten in ihre Höhlen.
Er landet zusammengerollt wie ein schlafendes Kind auf dem Waldboden.
Die Zeit verliert ihre Bedeutung. Brian bemerkt die dunklen Silhouetten nicht, die sich ihm, angezogen von dem Tumult, durch den finsteren Wald nähern. Auch nimmt er die Gestalten nicht wahr, die sich über die Rodung auf die verstümmelten Leichen zubewegen. Irgendwie, ohne dass er sich es selbst erklären kann, endet Brian Blake auf dem Boden neben Philip und hält die blutigen Überreste seines jüngeren Bruders in seinem Schoß.
Er starrt auf Philips markantes, blutbespritztes Gesicht, das jetzt so weiß wie Alabaster ist.
Ein Lebensflimmer schimmert noch in seinen Augen, als sich die Blicke der Brüder treffen, und für einen Moment zuckt Brian angesichts der Trauer, die ihn durchschneidet, zusammen. Die Verbindung der beiden, das Blut, das sie teilen, ist dick und reicht tief bis ins Innerste. Jetzt zerreißt die Pein Brians Seele. Das Gewicht ihrer gemeinsamen Geschichte – die endlose Langeweile in der Schule, die willkommenen Sommerferien, das spätabendliche Geflüster von einem Bett zum anderen, die ersten gemeinsamen Biere auf dem unglückseligen Campingausflug in den Appalachen, ihre geteilten Geheimnisse, ihre Kämpfe, ihre kleinstädtischen Träume, die das Leben so grausam zerschlug – all das zerschneidet in diesem Augenblick sein Herz.
Er weint – so hell und durchdringend wie ein gefangenes Tier –, und sein Schluchzen steigt in den dunkler werdenden Himmel auf, bis es sich mit dem weit entfernten Heulen der Rennwagenmotoren vereint. Er heult so inbrünstig, dass er nicht merkt, wie Philip aus seiner Welt scheidet.
Als Brian wieder seinen Bruder ansieht, hat sich dessen Gesicht bereits in eine weiße marmorne Skulptur verwandelt.
In etwa fünf Metern Entfernung erzittert das Laub. Mindestens ein Dutzend Beißer jeglicher Couleur, Größe und Form stolpert durch das Unterholz.
Der Erste, ein erwachsener Mann in zerfetzten Arbeitskleidern, dringt durch das Gestrüpp, die Arme ins Nichts ausgestreckt. Seine dicht beieinanderliegenden Augen suchen die Lichtung ab, bis sie auf das ihm am nächsten liegende Mahl treffen: Philips abkühlender Leichnam.
Brian Blake rafft sich auf und wendet sich ab. Er kann nicht zusehen. Er weiß, dass das die beste Art ist – seine Art. Sollen die Zombies das Chaos auf ihre Weise aufräumen.
Er steckt die Waffe wieder in seinen Gürtel und verschwindet in Richtung Baustelle.
Auf der Fahrerkabine eines Trucks findet er einen sicheren Platz, von wo aus er den Futterrausch in Ruhe abwarten kann.
Sein Gehirn ähnelt einem Fernseher, der zig Stationen abspielt. Er zieht die Achtunddreißiger aus dem Gürtel und hält sich daran fest, als ob es das Einzige in der Welt wäre, das ihm jetzt noch Halt und Geborgenheit bringen könnte.
Stimmengewirr und die Fragmente halb geformter Bilder rasen unkontrolliert durch Brians Kopf. Die Abenddämmerung hat der Dunkelheit Platz gemacht. Die nächste Lichtquelle – die Stadionscheinwerfer – ist mehrere hundert Meter entfernt. Brian nimmt seine Umwelt in der Bildhelligkeit eines Negativs wahr, seine Sinne sind so scharf wie die Klinge eines japanischen Messers. Er ist jetzt allein … So allein wie noch nie zuvor … Und das macht ihm mehr zu schaffen als all die Zombies um ihn herum.
Die Geräusche des Futterrauschs, feucht, saugend und gurgelnd, sind kaum noch über dem konstanten Heulen der Motoren der
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