Theo
Auto, und donn begib i mi ins Stubaitoi oder noch Zöll am See …« Bis zum Refrain kam er mühelos. Am Höhepunkt blieb er vor Begeisterung leider stecken: »Weu i wü Skiiiiiiiii foahn, foahn, foahn, foahn, foahn, foahn, foahn …« Er merkte es erst, als man ihm das Mikrofon wegnahm.
Seine zweite hitverdächtige Nummer stammt aus dem Kindergarten. Es ist eine Art Dancefloor für Minimalisten, man braucht dazu aber mindestens beide Hände. Der Text lautet: »Wo ist der Daumen? Da ist sie. Da ist er. Guten Tag, wie geht es? Danke, bin zufrieden. Sie geht fort. Er geht fort.« Der Song setzt mit der Abhandlung über den Zeigefinger fort und endet an und für sich mit der Betrachtung des kleinen Fingers. Theo arbeitet derzeit aber an einer zehnstrophigen Fassung, die auch die Zehen miteinbezieht.
Ins Theater geht er nicht mehr. Einmal ließ er sich überreden. »Theo, wollen wir ins Kasperltheater gehen?«, fragte man ihn. »Frag mich«, erwiderte er. Erst beim fünften Mal antwortete er halblaut: »Ja.« – »Dort muss man aber leise sein«, hieß es. »Dann nicht«, sagte Theo.
Die Oma, eine Überredungskünstlerin, schaffte es schließlich doch. Das Stück war leider ein Reinfall: Eine Ente wurde von einem Teufel am Nordpol in einen Eiszapfen verwandelt. Die vielen Kinder kreischtenund schrien. Theo meldete sich nur einmal zu Wort und rief: »Genug!« Da die auf der Bühne keine Anstalten machten aufzuhören, verließen Theo und Oma das Theater in der Pause.
Bilderbuchschauen – das ist nach wie vor eine feine Sache. Das beeindruckendste Werk, das Theo seit Wochen in Atem hält, heißt »Unsere Feuerwehr«. Es ist die Bibel der Verkehrsinfarkte: Was auf der Straße passieren kann, passiert. Jede Farbseite ist prall gefüllt mit ineinander verkeilten Fahrzeugen. Der Text ist an Dramatik kaum zu überbieten. Theo kann ihn selbstverständlich auswendig. Am liebsten hat er Seite fünf. Auf die Frage, was er dort sieht, antwortet er, mit zum Teil überschlagender Stimme: »Schon wieder ein Einsatz! Polizei und Kranwagen sind schon da.« Gerührt: »Ein Lastauto ist die Böschung hinuntergefahren. Diesel läuft aus.« Hoffnungsvoll: »Schnell wird ein Bindemittel darübergestreut. Es saugt den Diesel auf.« Mit erhobenem Zeigefinger: »So bleibt der Fluss sauber.« Glücksstrahlend: »Jetzt kann der Kranwagen das Lastauto herausziehen!«
Er spricht nicht mehr mit jedem
Theo ist vier –
und erduldet die Bremer Stadtmusikanten
Mit Theo ist alles in Ordnung. Er hat halt jetzt so eine Phase. Es ist eine Phase, in der alle paar Minuten jemand von Theo (und vor Theo und zu Theos Unterhaltung) behauptet: Er hat halt jetzt so eine Phase. Dank der Unabdingbarkeit der Phase kann Theo ungehindert tun, was er seit vier Jahren am allerliebsten tut – tun, was er will. Oder (und dieser Teil der Phase liegt ihm ganz besonders am Herzen): Er kann bequem nicht tun, was er nicht will.
Angenommen – und wir kommen gleich zum brutalsten Fallbeispiel des Jahres – angenommen, jemand will Theo porträtieren. Angenommen, dieser Jemand geht nun gewinnend lächelnd auf Theo zu und sagt: »Theo, es ist wieder einmal so weit. Wir machen jetzt ein ganz ein tolles neues Interview!« Theo zieht die rechte Augenbraue einen halben Millimeter Richtung Stirn, auf der sich eine fichtennadelgroße Falte bildet. »Theo, das geht ganz leicht. Du erzählst mir einfach, was du willst, einfach, was dir Spaß macht.« Theo kneift das linke Auge einen halben Millimeter weiter zu und hängt den rechten Schneidezahn über die Unterlippe.
Der Mann, der Theo porträtieren will, wird unruhig. »Theo, du kannst mir irgendwas erzählen.« Theo spitzt den Mund und klopft mit den Fingerkuppen rhythmischauf den Küchentisch (wo er gerade eine Schüssel Weihnachtskekse in Arbeit hat). »Theo, du wirst uns doch nicht hängenlassen!«, sagt der Biograf. Endlich scheint ein Vorbote eines Lächelns über Theos Mundwinkel zu huschen.
»Theo, das kannst du nicht machen! Du schmeißt das ganze Projekt!« Jetzt lacht Theo laut. (Erstens liebt er verzweifelte Erwachsenengesichter, zweitens hat er zwar schon Bücher, Gläser und Teller geschmissen, aber noch nie ein Projekt.) »Theo, komm, gib dir einen Ruck, sei kein Unmensch, denk an deine vielen treuen Leser, die werden ganz, ganz traurig sein, wenn du ihnen nichts erzählst. Also bitte, bitte, bitte!«, bettelt der Interviewer. »Nein«, sagt Theo und schaut streng. (Er verabscheut devote
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