Theo
Mensch mittleren Alters, der mit Theo ein paar Worte wechselt, wühlt plötzlich in seinem Privatleben, maßt sich an, seine versteckten Leidenschaften zu erkennen, und fragt unverschämt offen und immer aufs Neue: »Na, Theo, und was machen die Mädchen?« – Dazu infantiles Grinsen und geheimnisumwittertes Augengezwinkere. Was haben sie nur alle mit den Mädchen? Theo hat noch nichts Spannendes an ihnen entdecken können. Buben führen ihr Leben (Sport und Abenteuer), Mädchen führen ihr Leben (Pferdefotos und »Starmania«). Es gibt keinen Grund, diese beiden Welten krampfhaft zusammenzuführen. Deshalb hat sich Theo eine Antwort zurechtgelegt, die das Thema schon im Ansatz beendet. Was die Mädchen machen? – »Da musst du die Mädchen fragen.«
Kommen wir zu Erfreulicherem. Zum Beispiel zum jährlichen Theo-Porträt.
Frühzeitig machte ich den ersten Schritt und schrieb Theo folgende E-Mail: »Lieber Theo, hast du schon eine Ahnung, worüber wir diesmal berichten wollen?« Einen Tag später erbarmte er sich und antwortete: »Ich habe darüber nachgedacht, was ›wir‹ für eine neue Geschichte schreiben könnten, viel ist mir noch nicht eingefallen. (Ich dachte übrigens, das ist deine Arbeit!) Wir könnten ein paar Leute aus meiner Umgebung zu meiner Person befragen. (Die Mama will unbedingt die Bibliothekarin aus meiner Bibliothek.) Die Fragen musst aber du dir ausdenken! Die andere Hälfte könntenwir mit einem ganz normalen Interview mit mir füllen. Liebe Grüße, Theo.«
Okay, die Bibliothekarin hab ich natürlich sofort besucht, damit die Mama stolz sein kann: Linzer Straße 309, die kleinste Bücherei Wiens. Die entzückende Leiterin hat beim Namen Theo gleich leuchtende Augen bekommen. Er ist einer ihrer Lieblinge. Natürlich, Theo hat das im Blut, ein Liebling zu sein. (Daher auch die berechtigte Frage, was die Mädchen machen.) »Theo war einer der Bravsten«, sagt die Bibliothekarin. Unmengen an Kinderliteratur habe er verschlungen, ganz still sei er im Eck gesessen und habe geschmökert, während herkömmliche Schüler die Regale leerten und Büchermassaker veranstalteten.
Nach so viel Lob war ein relativierendes Gespräch mit Theos siebzehnjähriger Cousine Nadine, einer begnadeten Menschenbeobachterin, notwendig. Was Nadine an Theo beeindruckt? »Dass man in diesem Alter schon so gscheit sein kann.« Und was ihr an ihm am meisten auf den Geist geht? Da muss sie lange nachdenken. (Ehrlich, Theo!) »Na ja, er ist manchmal ein bisschen unhöflich.« Konkret: Wenn man ihn anspricht, heißt das noch lange nicht, dass er sich angesprochen fühlt. Er hört einfach weg. Und wenn er nicht weghören kann, dann schaut er eben weg. Und wenn er nicht wegschauen kann, dann geht er eben weg. Kurzum: Er redet zwar mit jedem, aber nicht immer – und auch nicht immer öfter, sondern genau dann, wann er will.
»Nadine, ein paar Worte zu Theos Musikalität?« – (Sieschmunzelt.) »Darüber sollten wir vielleicht ein andermal reden.« Nein, so schlimm ist es nicht: Wenn er sich wo anhalten kann, zum Beispiel an seiner Ziehharmonika, dann trifft er auch die Töne, oft sogar auf Anhieb die richtigen.
Ein Blick in die Zukunft: »Nadine, wie stellst du dir Theo vor, wenn er fünfzig Jahre alt ist?« – »Körperlich fit«, schätzt sie, »geistig rege, ehrgeizig. Wahrscheinlich Geschäftsmann, der schon viel Geld gemacht hat. Ordentlicher Lebenswandel, kein Suchtmensch.« Einzige Gefahr, dass er auf die schiefe Bahn geraten könnte: »Wenn er die Fußballkarriere einschlägt.« (Frechheit, eigentlich. Mauerbach-Mittelfeldmotor Theo, beweise es deiner Cousine!)
Ob Nadine zuletzt vielleicht noch ein besonderes Geschehnis rund um Theo einfällt? – Da bleibt sie gleich beim Fußball und erinnert an ein aufgeheiztes Familienturnier im Hochsommer 2005. Gegen Ende kam es zum Eklat. Theos Vater, an sich Psychologe, aber diesmal leider Schiedsrichter, zeigte nach einer Stocherei im Strafraum seinem eigenen Sohn Theo vor den Augen der verdutzten Fans die rote Karte. Theo stürmte auf ihn zu, sah ihm ins Gesicht, verabreichte ihm ein paar Blicke des Inhalts »Du bist nicht mehr mein Vater«, drehte sich um und spielte weiter, als wäre nichts gewesen.
Ich selbst möchte zu Theo eine erstaunliche Begebenheit anfügen, die sich im Februar auf einer zünftigen Hütte in den prächtigen Bergen der Alta Badia in Südtirolzutrug, wo wir gemeinsam Skiurlaub zelebrierten – die einen lieber in geheizten Räumen, der andere
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