Theres
Die Stimme ertrinkt im Knatterecho, als der Hubschrauber vorbeidröhnt, rasche Schlaglichter durch die Zelle, dann nichts mehr.
Sie bleibt stehen mit dem Gesicht zur Tür; Zeit zu warten, dass sich das Schweigen wieder um sie schließt: nicht zu schnell, erst die Gedanken sammeln. Aus der Toilette tönt ein schwacher, doch unverkennbar fließender Laut. Sie lauscht ihm, ohne wirklich zu hören. In Gedanken weilt sie bei dem, was Gudrun gewollt haben könnte, und ob sie wohl zurückrufen sollte. Dann aber denkt sie, vielleicht hat Gudrun ja doch nicht gerufen; das Geräusch ein verzerrtes Echo des abhebenden Hubschraubers.
Das Geräusch des Wassers aber bleibt.
Sie schiebt die Tür auf, zieht den Plastikvorhang auseinander: und tritt direkt hinein in eine Wand aus feuchter Wärme.
Das aus dem Wasserhahn strömende warme Wasser hat den Spiegel über dem Waschbecken schon beschlagen lassen. Sie hebt den Toilettendeckel und sieht lange, weiche Adern vom Spülkasten an der Innenseite des Toilettenbeckens hinabfließen. Unten bebt und zittert die Wasserfläche, beinahe (ein Gedanke, der sie zurückschrecken lässt) als wäre diese lebendig.
Eine seltsame Mattigkeit ergreift von ihr Besitz. Der Gedanke der Vernunft (eine Dichtung ist gerissen) bleibt nicht haften. Andere Gedanken tun es: Sie waren hier. Erneut die Männer mit den Werkzeugtaschen, gekleidet in orangefarbene Overalls mit dem Firmenlogo auf dem Rücken. Natürlich verkleidete Froschmänner (andere lassen sie hier nicht rein), obgleich sie von den Wärtern überwacht wurden und sagten, ihr einziger Auftrag sei die »Inspektion des Ventilationssystems«. Sie denkt: die Inspektion, der seltsam »verschwörerische« Blick, den der Wärter ihr zuwarf, als er am frühen Abend eine Portion Wurst durch die Luke hereinschob; der Hubschrauber, der plötzlich (und völlig ungerufen) abhob; Gudruns Stimme; das Wasser. Im Nu ist sie wieder am Fenster; ruft.
Doch nein, kein Ruf, der Verteidigungsinstinkt war schneller – nicht wieder mit dir durchgehen lassen. Besinn dich.
Lässt das Fenster los und versucht stattdessen logisch zu denken; denkt, welche Alternative ? Den »Schaden« allein reparieren. Und in dem Fall: mit welchem Werkzeug? Die Anstaltsregeln gestatten keine Gegenstände in den Zellen, mit denen die Häftlinge sich selbst Schaden zufügen oder andere materielle Beschädigungen vornehmen könnten . Macht gleichwohl den Versuch, die Mutter an der Oberseite des Toilettenbeckens zu lockern. Sie sitzt zu fest; sie vermag sie nicht einmal zu bewegen. Versucht den Warmwasserhahn noch weiter zuzudrehen. Der Strahl wird ein wenig dünner, das Wasser aber rinnt unentwegt weiter; und in der Toilette läuft und strömt es wie zuvor: unbändig; als hätte sich etwas, das bisher dort drinnen aufgestaut war, plötzlich gelöst und freien Auslauf bekommen.
Sie kehrt in die Zelle zurück, denkt: Es ist mehr als das ; denkt: Es ist,als wäre die ganze Zellenebene unter Druck gesetzt. (Hatte Gudrun also versucht sie zu »warnen«?) Der Gedanke ist von einer Art, die sie seit der Zeit in Ossendorf nicht mehr gedacht hat: dass die dort draußen sich auf etwas vorbereiten , und dass die Sache mit dem Wasser nur als eine Art Ablenkungsmanöver verstanden werden muss.
Sie hockt sich vor die Stereoanlage, tut, was Jan ihr beigebracht hat: verbindet sich mit dem internen Gefängnisradionetz und horcht »sich ein«. Hinter der Glenn-Miller-Musik hört sie nur das Wassergeräusch verstärkt: so als würde es aus den Toiletten aller Zellen in allen Abteilungen des gesamten Gefängnisses laufen; ein gewaltiges Wasserecho. Sie sinkt kraftlos auf ihr Bett, jetzt ist es also soweit; wir oder sie. Sie braucht nicht einmal nach dem Vorsatz zu greifen. Sie fühlt es: der Entschluss ist bereits gefasst. Und wenn er erst gefasst ist, gibt es keinen Platz mehr für den »Zweifel« (ein Zweifel, den die auf jeden Fall als Erste für sich nutzen würden): jede Handlung in eine klare Struktur des Vorhabens gefügt. Doch zunächst muss sie Ordnung schaffen.
*
Auch das ist kein bewusster Entschluss, dahinter steckt kein Gedanke, am ehesten ein instinktives Bedürfnis: Ordnung zu schaffen; sie denkt: Ordnung, wie ich sie will . Herrn Meinhofs Eigentum existiert ja noch immer. Wie sollte es anders sein? Er ist gestorben, und sie sind woanders hingezogen; und es war niemand da, der sich um die Dinge hätte kümmern können. Jetzt liegen sie da, wie sie stets gelegen haben: in dem hohen
Weitere Kostenlose Bücher