Thondras Kinder - Am Ende der Zeit
Schiff ganz gut steuern konnte und es ihm sogar Spaß machte. Also wechselten sich die beiden immer wieder ab. Ariac bekam die frische klare Luft sehr gut, nachdem er sich an das ewige Schwanken gewöhnt hatte, sodass er sich schneller erholte, als die anderen gedacht hatten. Überhaupt machte sich eine beinahe fröhliche Stimmung breit. Sie hatten sich von König Greedeons Einfluss gelöst und waren nun für sich selbst verantwortlich. Aber natürlich vermisste Tovion seine Nelja, und alle machten sich Sorgen um sie und Brogan.
Auch an diesem Tag stand Tovion am Heck des Schiffes. Sein glattes Gesicht wirkte meist ein wenig verträumt, und auch wenn er ein hervorragender Schwertkämpfer war, bevorzugte er es eigentlich, sich in Bibliotheken zu vergraben und alte Schriften zu studieren. Heute sah er jedoch besonders bedrückt aus.
Ariac schwankte über die blanken Holzbohlen zu ihm hinüber. »Hast du Nelja schon eine Nachricht geschickt? Sie und Brogan wissen doch jetzt nicht, dass wir alle auf dem Meer sind.«
Aus seinen Gedanken gerissen blickte Tovion zu dem etwas größeren Steppenkrieger hin.
»Nein, hier auf dem Meer hat das keinen Sinn«, antwortete er betrübt.
»Wieso nicht? Und wie kann der Vogel Nelja eigentlich finden?« Ariac deutete auf den Falken, der neben Tovion auf einer Holzkiste saß und sich das Gefieder putzte.
Tovion pfiff, und der Falke landete sofort auf seinem Arm. »Siehst du den kleinen Anhänger mit dem Edelstein?«
Ariac nickte und blickte auf den blassblauen Stein, der um den Hals des Falken hing.
»Er ist verzaubert. Neljas Falke hat auch so einen, und Nelja und ich tragen ebenfalls einen Stein.« Er holte den Edelstein unter seinem Hemd hervor. »Er zeigt den Vögeln die Umgebung an, Berge, Seen und Felsen, woran sie sich orientieren können. Aber so weit auf dem Meer funktioniert das nicht. Ich hätte ihn eher losschicken müssen, aber auf der Flucht fehlte die Zeit.«
»Ich verstehe«, erwiderte Ariac und betrachtete den Falken bewundernd. Es war ein stolzes und edles Tier. »Es muss schwer für euch sein, so lange getrennt zu reisen.«
»Ja, aber wir sind es wohl inzwischen gewohnt. Wir waren nie sehr viel länger als einige Tage zusammen.«
Ariac blickte sich nach Rijana um, die sich gerade ausgelassen
mit Rudrinn unterhielt. »Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, ohne Rijana zu sein.«
»Ja, unsere kleine Rijana kann einen verzaubern«, sagte Tovion lächelnd. »Obwohl sie sich früher immer für unansehnlich und hässlich gehalten hat.«
»Das habe ich auch nie verstanden.« Wütend runzelte Ariac die Stirn. »Aber es lag wohl an ihren Eltern. Ich habe sie vor einiger Zeit kennen gelernt, furchtbare Menschen.«
Tovion zog die Augenbrauen zusammen. »Wie hast du es eigentlich in Naravaack ausgehalten?«, fragte er plötzlich.
Augenblicklich versteifte sich Ariac, und sein Gesicht verdüsterte sich. »Mir blieb nichts anderes übrig.«
»Ist es wirklich so furchtbar dort, wie man in den Büchern liest?«, hakte Tovion nach, der sich von jeher für Geschichte und fremde Länder interessiert hatte.
Ariac war dreiundzwanzig, nur ein Jahr älter als er selbst, und Tovion hatte sich häufig gefragt, wie es wohl gewesen wäre, wenn er an seiner Stelle in Ursann ausgebildet worden wäre. Hätte er sich ebenso dem Einfluss Scurrs entziehen können, wie es Ariac getan hatte? In jungen Jahren war Ariac von den Schergen des finsteren König Scurr entführt worden, der angeblich von dem Geist des ehemaligen Zauberers Kââr besessen war und in den unwirtlichen Bergen von Ursann eine Schreckensherrschaft führte. Diese hatte sich bereits weit über alle Länder ausgebreitet. Der grausame Worran, treu ergebener Diener Scurrs, war für die Ausbildung der jungen Leute verantwortlich gewesen. Er hatte Ariac, den wilden und unbeugsamen Jungen aus der Steppe, viele Jahre lang gefoltert und gequält. Am Ende war es ihm jedoch nicht gelungen, Ariacs Willen zu brechen. Nach einigen Umwegen und Wirrungen war Ariac schließlich doch mit den anderen vereint worden, die auf der Insel Camasann eine wesentlich angenehmere, aber durchaus auch harte Ausbildung genossen hatten.
Während ihrer ersten Schlacht hatten sich Tovion und Ariac
noch als Gegner gegenübergestanden, bevor Ariac in Gefangenschaft geraten war. Tovion musste daran denken, wie Rijana mit Hilfe des Zauberers Brogan Ariac befreit hatte, und schmunzelte. Die kleine, schüchterne Rijana hatte damals das erste Mal ihre
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