Throne of Glass – Die Erwählte
sich befanden, desto kleiner wurden sie und der Raum war so lang, dass die letzte Zielscheibe in gut 60 Meter Entfernung aufgestellt war.
Celaena ließ die Finger über die glatte Rundung ihres Eibenbogens gleiten. Bogenschießen war eines der ersten Dinge gewesen, die Arobynn sie gelehrt hatte – grundlegend in der Ausbildung jedes Assassinen. Zwei der Assassinen weiter vorn bewiesen es mit mühelosen, geschickten Schüssen. Zwar trafen sie nicht genau in die Mitte und ihre Schüsse wurden ungenauer, je weiter die Zielscheibe entfernt war, doch wer auch immer ihre Meister gewesen waren, sie hatten ihr Fach beherrscht.
Pelor, der schlaksige Assassine, hatte noch nicht genügend Kraft, um mit einem Langbogen umzugehen, und hatte schon Schwierigkeiten, die Pfeile überhaupt abzuschießen. Als er fertig war, blitzten seine Augen verärgert, die Champions kicherten und Cain lachte am lautesten.
Brullo machte ein finsteres Gesicht. »Hat dir nie jemand gezeigt, wie man mit einem Bogen umgeht, Junge?«
Pelor hob den Kopf und funkelte den Waffenmeister überraschend unverfroren an. »Ich kenne mich besser mit Giften aus.«
»Gifte!« Brullos Arme schnellten nach oben. »Der König will einen Champion – und du könntest nicht mal eine Kuh auf der Weide erschießen!« Der Waffenmeister scheuchte Pelor weg. Die anderen Champions lachten wieder und Celaena hätte nur zu gern eingestimmt. Aber Pelor holte schlotternd Luft, ließ die Schultern hängen und gesellte sich zu den anderen Teilnehmern, die fertig waren. Wo würde man ihn hinbringen, wenn er jetzt ausschied? Ins Gefängnis – oder in irgendein anderes Dreckloch? Unwillkürlich bekam Celaena Mitleid mit dem Jungen. So schlecht waren seine Schüsse nun auch wieder nicht gewesen.
Am meisten war sie jedoch von Nox überrascht: dreimal ins Zentrumbei den näheren Zielscheiben und die beiden letzten Schüsse an den Rand des inneren Rings. Vielleicht sollte sie ihn ernsthaft als Partner in Erwägung ziehen. Aus der Art und Weise, wie die anderen Teilnehmer ihn beobachteten, als er ans andere Ende des Raums ging, schloss Celaena, dass sie dasselbe dachten.
Grave, der abstoßende Assassine, machte es ziemlich gut. Viermal ins Zentrum und der letzte Schuss direkt an den Rand des innersten Rings. Aber dann trat Cain an die weiße Linie, die man durch den Raum gezogen hatte, und spannte seinen Bogen. Sein schwarzer Ring glitzerte, als er schoss.
Und wieder und wieder und wieder innerhalb weniger Sekunden.
Als das Geräusch seines letzten Schusses in der plötzlichen Stille im Raum verklungen war, wurde Celaena schlecht. Fünfmal ins Zentrum.
Ihr einziger Trost war, dass er nie den schwarzen Punkt getroffen hatte – die absolute Mitte. Nur einmal war er in die Nähe gekommen.
Aus irgendeinem Grund kam jetzt Bewegung in die Schlange. Celaena konnte nur noch an Cain denken – Cain, der Applaus von Perrington bekam, Cain, dem Brullo auf den Rücken klopfte, Cain, der all dieses Lob und diese Aufmerksamkeit bekam, nicht weil er ein Muskelpaket war, sondern weil er es wirklich verdient hatte.
Plötzlich stand sie selbst an der weißen Linie und vor ihr lag der Raum in seiner ganzen Länge. Manche der Männer kicherten – aber nur ganz leise – und sie trug den Kopf hoch, als sie über die Schulter nach einem Pfeil griff und ihn in ihren Bogen einlegte.
Vor ein paar Tagen hatten sie Bogenschießen geübt und sie war wirklich gut gewesen. Oder vielmehr so gut, wie sie sein konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Und sie hatte schon Männer mit Schüssen aus größerer Entfernung als die am weitesten entfernte Zielscheibe getötet. Mit sauberen Schüssen. Direkt in die Kehle.
Sie versuchte zu schlucken, aber ihr Mund war trocken.
Ich bin Celaena Sardothien, Adarlans Assassinin. Wenn diese Männer wüssten, wer ich bin, würde ihnen das Lachen vergehen . Ich werde gewinnen. Ich werde keine Angst haben.
Sie zog den Pfeil zu sich heran, die strapazierten Muskeln in ihrem Arm schmerzten vor Anstrengung. Als sie sich ganz auf die erste Zielscheibe konzentrierte, blendete sie Stimmen, Bewegungen und alles andere bis auf das Geräusch ihres Atems aus. Sie holte gleichmäßig Luft. Als sie ausatmete, ließ sie den Pfeil fliegen.
Zentrum.
Die Anspannung in ihrem Magen ließ nach und sie seufzte erleichtert. Es war nicht die absolute Mitte, aber darauf hatte sie ohnehin nicht gezielt.
Einige Männer hörten auf zu lachen, aber sie achtete nicht darauf, als sie den
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