Throne of Glass – Die Erwählte
nächsten Messer greifen, stellte jedoch fest, dass sie ihren Vorrat wieder aufgebraucht hatte.
Nox hatte noch einen Wurf und diesmal traf das Messer ins Schwarze. »Weil ich jede Wette eingehe, dass du diesen ganzen verdammten Mist gewinnst.«
Celaena lächelte ein bisschen. »Wollen wir hoffen, dass du bei der Prüfung morgen nicht rausfliegst.« Sie suchte die Trainingshalle nach irgendeinem Hinweis auf die Prüfung ab, konnte aber nichts entdecken. Die meisten anderen Mitbewerber verhielten sich ruhig –außer Cain und Verin – und viele von ihnen waren leichenblass. »Und wir wollen auch hoffen, dass keiner von uns beiden wie der Augenfresser endet«, fügte sie hinzu. Und das meinte sie ernst.
~
»Macht Ihr eigentlich auch mal etwas anderes als lesen?«, fragte Chaol. Celaena fuhr von ihrem Stuhl auf dem Balkon hoch, als er sich neben sie setzte. Die Abendsonne wärmte ihr Gesicht und der letzte laue Herbstwind strich ihr durchs offene Haar.
Sie streckte ihm die Zunge heraus. »Solltet Ihr nicht den Mord am Augenfresser aufklären?« Er kam sonst nie nachmittags in ihre Räume.
Etwas Dunkles zuckte durch seine Augen. »Das geht Euch nichts an. Und versucht nicht, mich nach Einzelheiten auszuhorchen«, fügte er hinzu, als sie den Mund aufmachte. Er deutete auf das Buch in ihrem Schoß. »Heute Mittag habe ich gesehen, dass Ihr Der Wind und der Regen lest, und habe vergessen, Euch zu fragen, was Ihr davon haltet.«
Wollte er ernsthaft über ein Buch reden, obwohl heute Morgen die Leiche eines Champions gefunden worden war? »Es ist ein bisschen dämlich«, erklärte sie und hielt den braunen Band in ihrem Schoß hoch. Da er nichts erwiderte, fragte sie: »Und warum seid Ihr wirklich hier?«
»Ich hatte einen langen Tag.«
Sie massierte sich eine schmerzende Stelle am Knie. »Wegen dem Mord an Bill?«
»Wegen einer endlosen Ratssitzung, in die der Kronprinz mich geschleppt hat«, sagte er und spannte seinen Kiefer an.
»Ich dachte, Seine Königliche Hoheit wäre Euer Freund.«
»Ist er auch.«
»Wie lange seid Ihr schon befreundet?«
Chaol zögerte. Garantiert überlegte er, ob sie diese Information vielleicht gegen ihn verwenden konnte, und wägte das Risiko ab, ihr die Wahrheit zu sagen. Sie wollte ihn gerade anblaffen, als er erwiderte: »Schon von klein auf. Wir waren im Schloss die einzigen Jungen unseres Alters – zumindest die einzigen von hohem Rang. Wir wurden zusammen unterrichtet, spielten zusammen, trainierten zusammen. Aber als ich dreizehn wurde, zog mein Vater mit der Familie zurück nach Anielle, wo wir herstammen.«
»Die Stadt am Silver Lake?« Irgendwie passte es, dass Chaols Familie über Anielle herrschte. Die Bewohner von Anielle waren von Geburt an Krieger und hatten über Generationen hinweg die wilden Horden aus den White Fang Mountains in Schach gehalten. Glücklicherweise hatte sich die Lage der Krieger von Anielle in den letzten zehn Jahren ein wenig gebessert: Das Volk aus den White Fang Mountains war als eines der ersten von Adarlans siegreichen Armeen unterworfen worden und die meisten Rebellen hatten den Tod der Sklaverei vorgezogen. Celaena hatte Geschichten von Männern aus den Bergen gehört, die zuerst ihre Frauen und Kinder und dann sich selbst getötet hatten, um nicht in die Fänge der Männer aus Adarlan zu geraten. Bei dem Gedanken, dass Chaol gegen Hunderte von ihnen gekämpft hatte – gegen Männer, die wie Cain gebaut waren –, wurde ihr ein bisschen schlecht.
»Ja«, sagte Chaol und fummelte an dem langen Jagdmesser herum, das an seiner Hüfte hing. »Ich sollte wie mein Vater in den königlichen Rat eintreten; er wollte, dass ich etwas Zeit bei meinem eigenen Volk verbringe und lerne … was Ratsherren eben lernen. Er sagte, jetzt, wo die Armee des Königs in den Bergen ist, könnten wir uns auf die Politik konzentrieren, anstatt gegen die Bergbewohner zu kämpfen.« Seine goldbraunen Augen waren abwesend. »Aber ich habe Rifthold vermisst.«
»Und dann seid Ihr weggelaufen?« Celaena war verwundert, dass er von sich aus so viel erzählte – hatte er sich auf der Reise von Endovier nicht geweigert, überhaupt irgendwas zu sagen?
»Weggelaufen?« Chaol schmunzelte. »Nein. Mit Brullos Hilfe hat Dorian den Captain der Garde überredet, mich in die Lehre zu nehmen. Mein Vater sagte Nein. Also habe ich zugunsten meines Bruders auf meinen Titel als Lord von Anielle verzichtet und bin am nächsten Tag abgereist.«
Das Schweigen des Captains
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