Throne of Glass – Die Erwählte
zittern und riss manche von den dürren Zweigen. »Die drei habe ich an meinem ersten Tag in Endovier bekommen.«
»Womit habt Ihr sie Euch verdient?«
»Verdient?« Sie lachte schrill. »Niemand hat es verdient, wie ein Tier ausgepeitscht zu werden.« Chaol machte den Mund auf, aber sie schnitt ihm das Wort ab. »Als ich in Endovier ankam, wurde ich in die Mitte des Lagers geschleift und zwischen die Peitschpfosten gebunden. Einundzwanzig Hiebe.« Sie starrte ihn an, ohne ihn richtig zu sehen, weil der aschgraue Himmel sich in das trostlose Endovierverwandelte und das Fauchen des Windes zum Stöhnen der Sklaven wurde. »Das war, bevor ich mich mit anderen Sklaven angefreundet hatte – und in dieser ersten Nacht fragte ich mich, ob ich den nächsten Morgen erleben oder ob mein Rücken sich entzünden und ich verbluten und sterben würde, bevor ich überhaupt wusste, was los war.«
»Hat Euch niemand geholfen?«
»Erst am nächsten Morgen. Eine junge Frau steckte mir einen Tiegel mit Salbe zu, während wir fürs Frühstück anstanden. Ich konnte mich nicht bei ihr bedanken. Sie wurde am selben Tag von vier Aufsehern vergewaltigt und umgebracht.« Als Celaenas Augen zu brennen begannen, ballte sie die Hände zu Fäusten. »An dem Tag, als ich ausgerastet bin, war ich auch in ihrem Abschnitt der Minen, um ihnen heimzuzahlen, was sie ihr angetan hatten.« Eiseskälte ließ ihre Adern gefrieren. »Sie sind viel zu schnell gestorben.«
»Aber Ihr wart ebenfalls als Frau in Endovier«, sagte Chaol mit rauer, ruhiger Stimme. »Hat Euch niemand …?« Er verstummte, außerstande, das Wort auszusprechen.
Sie warf ihm ein langsames, bitteres Lächeln zu. »Sie hatten von Anfang an Angst vor mir. Und nach dem Tag, an dem ich es fast bis zur Mauer schaffte, haben sie sich gehütet, mir zu nahe zu kommen. Aber wäre irgendein Aufseher trotzdem zu freundlich geworden … Tja, dann wäre an ihm ein Exempel statuiert worden, damit die anderen sich daran erinnerten, wie leicht ich jederzeit wieder ausrasten konnte.« Der Wind wirbelte um sie herum und riss Haarsträhnen aus ihrem Zopf. Ihre andere Erklärung wollte sie lieber nicht laut aussprechen – dass Arobynn die Wachen in Endovier vielleicht irgendwie bestochen hatte, um für ihre Sicherheit zu sorgen. »Jeder überlebt auf seine eigene Weise.«
Celaena verstand nicht wirklich, warum Chaols Blick so sanft war, als er ihr zunickte. Sie sah ihn nur kurz an, bevor sie wieder losrannte,den Hügel hinauf – wo die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke drangen.
~
Am Nachmittag standen die Champions im Kreis um Brullo, der sie über verschiedene Waffen und anderen Blödsinn belehrte, den Celaena vor Jahren gelernt hatte und sich nicht noch einmal anhören musste. Sie fragte sich gerade, ob sie eigentlich im Stehen schlafen konnte, als sie in den Augenwinkeln eine plötzliche Bewegung vor den Türen zum Garten wahrnahm. Sie drehte sich um und sah gerade noch, wie einer der größeren Champions – einer der entlassenen Soldaten – einen Wachposten schubste und ihn zu Boden schlug. Der Kopf des Wachpostens landete krachend auf dem Marmorboden und er verlor sofort das Bewusstsein. Celaena wagte sich nicht zu rühren – keiner der Champions tat es –, als der ehemalige Soldat zur Tür Richtung Garten stürzte.
Aber Chaol und seine Männer reagierten so schnell, dass der fliehende Champion nicht einmal bis an die Glastür kam, bevor ein Pfeil sich sauber durch seine Kehle bohrte.
Schweigen trat ein und die Hälfte der Wachen umringte die Champions, die Hand am Schwert, während die anderen, unter ihnen auch Chaol, zu dem toten Champion und dem am Boden liegenden Wachposten rannten. Holz ächzte, als die Bogenschützen auf der Empore ihre Sehnen spannten. Celaena rührte sich nicht, genauso wenig wie Nox, der dicht neben ihr stand. Eine falsche Bewegung und ein nervöser Wachposten könnte sie töten. Selbst Cain schien den Atem anzuhalten.
Hinter der Wand aus Champions, Wachen und deren Waffen konnte Celaena Chaol sehen, der bei dem bewusstlosen Wachposten kniete. Den gefallenen Champion, der mit dem Gesicht nachunten lag, die Hand noch nach der Glastür ausgestreckt, berührte niemand. Sven war sein Name gewesen – aber Celaena wusste nicht mehr, warum er aus der Armee entlassen worden war.
»Bei allen Göttern«, hauchte Nox so leise, dass seine Lippen sich kaum bewegten. »Sie haben ihn … einfach umgebracht.« Celaena hätte ihm fast gesagt, er solle
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