Throne of Glass – Die Erwählte
deutete an, was er nicht sagen konnte. Dass sein Vater nicht widersprochen hatte. Und seine Mutter? Er atmete langsam aus. »Was war damals mit Euch?«
Sie verschränkte die Arme. »Ich dachte, Ihr wollt gar nichts über mich wissen.«
Der Anflug eines Lächelns stahl sich auf sein Gesicht, als er beobachtete, wie der Himmel in Orange- und Rottönen zerfloss. »Was halten Eure Eltern davon, dass ihre Tochter die Assassinin von Adarlan ist?«
»Meine Eltern sind tot«, erwiderte sie. »Sie starben, als ich acht war.«
»Dann seid Ihr …«
Celaenas Herz trommelte in der Brust. »Ich bin in Terrasen geboren, dann wurde ich Assassinin, dann kam ich nach Endovier und jetzt bin ich hier. Das ist alles.«
Schweigen trat ein. Irgendwann fragte er: »Woher habt Ihr diese Narbe auf Eurer rechten Hand?« Sie brauchte keinen Blick auf die gezackte Linie zu werfen, die direkt über ihrem Handgelenk am Handrücken entlanglief. Sie krümmte die Finger.
»Als ich zwölf war, fand Arobynn Hamel, meine linke Hand sei beim Schwertkampf bei Weitem nicht geschickt genug. Er stellte mich vor die Wahl: Entweder ich würde mir selbst die rechte Hand brechen oder er würde es tun.« Die Erinnerung an den wahnsinnigenSchmerz schnitt durch ihre Hand. »In jener Nacht hielt ich meine Hand an einen Türrahmen und schlug die Tür zu. Das Fleisch riss auf und zwei Knochen waren gebrochen. Es dauerte Monate, bis es wieder verheilt war – Monate, in denen ich nur meine linke Hand benutzen konnte.« Celaena warf ihm ein böses Lächeln zu. »Ich wette, Brullo hat nie so etwas mit Euch gemacht.«
»Nein«, erwiderte Chaol ruhig. »Nein, das hat er nicht.« Er räusperte sich und stand auf. »Morgen ist die erste Prüfung. Seid Ihr bereit?«
»Natürlich«, log sie.
Er blieb noch einen Moment stehen und beobachtete sie. »Wir sehen uns morgen früh«, sagte er, bevor er ging. In der Stille, die hinter ihm zurückblieb, sann Celaena über seine Geschichte nach, über die Wege, die sie zu so unterschiedlichen, aber auch so ähnlichen Menschen gemacht hatten. Als ein kalter Wind die Röcke ihres Kleides hob und sie nach hinten wehte, schlang sie beide Arme um den Oberkörper.
15
C elaena hätte es nie zugegeben, aber sie hatte keinen blassen Schimmer, was sie bei der ersten Prüfung erwartete. Sie hatte in den letzten fünf Tagen so viel trainiert und mit verschiedenen Waffen und Techniken geübt, dass ihr alles wehtat. Und auch das hätte sie nie zugegeben, selbst wenn es fast unmöglich war, die pochenden Schmerzen am ganzen Körper zu überspielen. Als sie am Morgen an Chaols Seite den riesigen Kampfsaal betrat, warf sie einen Blick auf ihre Konkurrenten und erinnerte sich daran, dass sie nicht als Einzige keine Ahnung hatte, was auf sie zukam. Ein hoher schwarzer Vorhang war mitten durch den Raum gespannt worden und versperrte die Sicht auf die andere Seite. Was auch immer hinter diesem Vorhang lag, so begriff sie, würde über das Schicksal von einem von ihnen entscheiden.
Der übliche Radau war einer knisternden Ruhe gewichen – und statt umherzulaufen, blieben die Wettkämpfer an der Seite ihrer Trainer. Celaena hielt sich neben Chaol, was keine Veränderung zu sonst bedeutete. Ungewohnt war jedoch der versammelte Rat, der von der Empore auf den schwarz-weiß gefliesten Boden herabblickte. Sie spürte einen Kloß im Hals, als ihr Blick dem des Kronprinzen begegnete. Abgesehen von den Büchern, die er ihr geschickt hatte, hatte sie seit dem Empfang beim König nichts mehr von ihmgesehen oder gehört. Er lächelte ihr zu und seine saphirblauen Augen funkelten im Morgenlicht. Sie sandte ein schmales Lächeln zurück und sah dann schnell weg.
Brullo stand am Vorhang, eine narbenbedeckte Hand am Schwert. Celaena beobachtete aufmerksam die Szenerie, als jemand neben sie trat. Noch bevor er den Mund aufmachte, wusste sie, wer es war. »Sie machen es ganz schön spannend.«
Sie sah Nox von der Seite an. Chaol neben ihr wurde merklich nervös und sie konnte geradezu spüren, wie er den Dieb unter die Lupe nahm und sich zweifellos fragte, ob sie und Nox einen Fluchtplan ausheckten, der auch den Tod aller Mitglieder der Königsfamilie beinhaltete.
»Nach fünf Tagen stumpfsinnigem Training«, erwiderte sie leise, wohl wissend, dass kaum jemand im Saal sprach, »freue ich mich über ein bisschen Aufregung.«
Nox lachte in sich hinein. »Was meinst du, was es ist?«
Sie zuckte mit den Schultern, ihre Aufmerksamkeit galt dem Vorhang. Immer
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