Thursday Next 03 - Im Brunnen der Manuskripte
eben alle sehr relativ.
»Wie wär's denn mit
Silas Marner?
«
»Nur teilweise langweilig, genau wie
Hard Times
. Du wirst dich etwas mehr anstrengen müssen. Wenn ich du wäre, würde ich eine etwas größere Pfanne für mein Omelette nehmen, und weniger Hitze.«
»Ach?« sagte ich und wurde allmählich ärgerlich. »Vielleicht möchtest du lieber kochen? Du hast ja ohnehin schon die meiste Arbeit gemacht.«
»Nein, nein«, sagte Granny ganz ungerührt. »Du machst das doch alles sehr schön.«
Man hörte die Tür aufgehen, und Ibb kam, dicht gefolgt von Obb, herein.
»Herzlichen Glückwunsch!« sagte ich.
»Wozu?« fragte Ibb, der nicht mehr genauso aussah wie Obb, sondern jetzt blond war und mindestens zehn Zentimeter kleiner als Obb.
»Zu den Großbuchstaben in euren Namen.«
»Ja!« sagte Ibb voller Begeisterung. »Es ist erstaunlich, was alles passiert, wenn man den Unterricht in St. Tabularasa besucht. Heute die Großbuchstaben, morgen werden wir unsere Gattungs-Schulung beenden, und am Ende der Woche werden wir in Charakter-Leistungsgruppen eingeteilt.«
»Ich möchte gern Lehrer werden«, sagte Obb. »Unser Betreuer hat gesagt, dass man es sich manchmal aussuchen kann, was man für eine Figur wird und wo man eingesetzt wird. Machen Sie gerade Abendessen?«
»Nein«, sagte ich, »das ist bloß eine Wärmetherapie für meine drei Lieblingseier.«
Ibb lachte - was meiner Ansicht nach ein gutes Zeichen für seine Ironiekenntnisse war - und zog sich mit Obb zurück, um witzige Antworten und Schlagfertigkeit zu trainieren, falls sie irgendwo als komische Nebenfiguren eingesetzt werden sollten. »Ach, diese jungen Leute!« sagte Granny kopfschüttelnd. »Ich glaube, wir müssen ein größeres Omelette machen. Kannst du das vielleicht übernehmen? Ich glaube, ich brauche ein bisschen Ruhe.«
Zwanzig Minuten später setzten wir uns zum Essen. Obb hatte sich einen Scheitel gekämmt, und Ibb trug eins von Grannys karierten Kleidern.
»Hoffst du, eine Frau zu werden?« fragte ich und gab Ibb einen Teller.
»Ja«, sagte sie, »aber nicht so eine wie Sie. Ich wäre gern ein bisschen weiblicher und hilfloser. Von der Sorte, die immer gleich spitze Schreie ausstößt und gerettet werden muss, wenn Probleme auftauchen.«
»Wirklich?« sagte ich und reichte meiner Oma den Salat. »Warum denn das?«
Ibb zuckte die Achseln. »Weiß auch nicht. Mir gefällt die Idee, gerettet zu werden, halt sehr. Die Vorstellung, dass starke Arme mich wegtragen, finde ich irgendwie
reizvoll
. Und es wäre schön, wenn mir immer jemand die Handlung erklärt. Ein paar gute Zeilen will ich natürlich auch haben - und diesen berühmten weiblichen Instinkt, der am Schluss alles entscheidet.«
»Ich glaube, da findet sich bald eine Rolle«, seufzte ich. »Du scheinst ja sehr genau zu wissen, worauf du hinauswillst. Hast du ein bestimmtest Vorbild?«
»Die hier!« rief Ibb und zog ein leicht zerfleddertes Exemplar von
Silverscreen
unter dem Tisch vor. Auf der Titelseite war niemand anderes als Lola Vavoom zu sehen, die zum x-ten Mal über ihren Ehemann, ihre (wie immer heftig geleugneten) Schönheitsoperationen und ihren letzten Film interviewt wurde.
»Omi!« sagte ich streng, denn es gab keinen Zweifel, woher das Blatt stammte. »Hast du ihr diese Zeitschrift gegeben?«
»Na, ja -«
»Du weißt doch, wie leicht sich Rohlinge beeinflussen lassen! Warum hast du ihr keine Zeitschrift mit Jenny Gudgeon auf der Titelseite gegeben? Die spielt wenigstens richtige Frauen - und eine gute Schauspielerin ist sie auch.«
»Hast du Ms Vavoom in
Gänseliesel
gesehen?« fragte Granny empört. »Du würdest staunen! Sie ist nämlich sehr vielseitig.«
»Sie wollten uns doch etwas über Subtext erzählen!« sagte Obb und nahm sich noch ein wenig Salat.
»Ah, ja«, sagte ich, dankbar für die Gelegenheit, das leidige Thema Vavoom endlich fallen lassen zu können. »Der Subtext ist die unausgesprochene Handlung hinter den Worten. Der Text sagt uns, was die Figuren
sagen und tun
, aber der Subtext sagt uns, was sie
meinen, fühlen und denken
. Das Besondere daran ist die Tatsache, dass man diese allgemeine Grammatik nur aufgrund von Erfahrung versteht. Wenn man keine Menschenkenntnis besitzt und nicht weiß, wie Menschen miteinander umgehen, kriegt man den Subtext nicht mit. Verstanden?«
Ibb und Obb sahen sich an. »Nein.«
»Okay, ich gebe euch ein einfaches Beispiel: Auf einer Party gibt ein Mann einer Frau einen Drink, und sie nimmt
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