Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
Fischeintopf hätte, aber nachdem ich Shotwyns Kocherei drei Jahre lang aushalten mußte, könnte ich manchmal sogar wieder Seehaar essen ... Gib auf die Stufe acht, Fate.«
»Es war köstlich.« Zuerst tastete Fate Ravenglass die Stufe mit dem Stock ab, ehe sie ihren Fuß darauf setzte. Sie hängte sich bei Tor ein, als sie sich unter die anderen Fußgänger in der Allee mischten. Die meisten waren Fischer oder Hafenarbeiter in schäbiger, derber Kleidung, doch dazwischen gab es auch ein paar bunt gewandete Händler aus dem Wintervolk, die Produkte einkaufen wollten, die gerade von den Plantagen entlang der Küste eingetroffen waren.
Mit einer durch jahrelange Übung erworbenen Geschicklichkeit bugsierte Tor Fate durch das Menschengewimmel. Jeder, der das Kleeblattmedaillon auf Fates grünblauer Tunika erkannte, machte den beiden Frauen von sich aus Platz. Fate hing an ihren exotischen, verblichenen Gewändern in der Mode der Außenweltler; die meisten bestanden aus Satin, Seide oder anderen Stoffen, die sich angenehm anfühlten. Sie sagte, es sei ihr egal, wie sie darin ausschaute, denn sie selbst könne sich ja ohnehin nicht sehen. Ihr käme es nur darauf an, daß sie sich in ihren Roben wohl fühlte, die Kleider seien für sie so etwas wie alte Freunde.
»Und ich dachte, dir schmeckt, was Shotwyn kocht«, sagte Fate mit gelindem Erstaunen. »Ist das nicht der Grund, weshalb du ein Geschäft mit ihm aufgemacht hast?«
Tor zuckte die Achseln. »Eigentlich tat ich mich geschäftlich mit ihm zusammen, weil er im Bett so einfallsreich war.« Sie lachte. Shotwyn Crestrider gehörte einem der Winterclans an, die durch ihre Handelsbeziehungen mit Außenweltlern reich geworden waren, vermutlich weil sie an den Küsten, die zu ihren Plantagen gehörten, Mers jagten. Wie alle übrigen, so hatte auch er nach einer Möglichkeit gesucht, sich in den Wirren nach dem Wechsel an die Vergangenheit zu klammern. Als sie sich eines Tages im Sibyllen-College trafen, stellten sie fest, daß sie beide an der gleichen inneren Rastlosigkeit litten. Er fand es faszinierend, daß sie früher für die Außenweltler eine Spielhölle betrieben hatte; sie fühlte sich von seinen raffinierten Liebeskünsten angezogen, die er am Hof der Schneekönigin erlernte.
Außerdem imponierte ihr sein anderes Hobby: er kopierte die Kochrezepte verschiedener Außenwelten, wobei er die auf Tiamat erhältlichen, heimischen Zutaten benutzte. Gemeinsam eröffneten sie ein Restaurant, in dem nostalgische Winterleute verkehrten deren kultivierter Geschmack nur noch selten auf seine Kosten kam. Er hatte das Geld und die praktischen Fähigkeiten, sie den Geschäftssinn. Sie führte das Restaurant und vereinbarte mit den Bauern, welche exotischen Kräuter und Gewürze sie anbauen sollten. Einige Male hatte sie sogar Fate dazu gebracht, ihr durch den Transfer neue Rezepte zu besorgen, als Shotwyns eigene Kochkünste nicht mehr ausreichten. Geschäftlich gesehen war es die perfekte Symbiose, trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere.
»Jetzt weiß ich, daß es stimmt, wenn man sagt ›Kochen ist wichtiger als küssen‹.« Sie seufzte. »Ich mag seine Gerichte immer noch – wie alle anderen; das Geschäft geht blendend. Er kennt mehr Zubereitungsarten für Fisch, als ich es für möglich gehalten hätte. Aber ich war wohl zu lange Hafenarbeiterin, ehe ich in Persipones Spielhölle eintrat, ich machte mir nie Gedanken darüber, daß ich einheimische Gerichte aß, sie schmeccten mir einfach. Und diese derbe Hausmannskost mag ich immer noch am liebsten. Shotwyn meint, ich sei durch die Denkweise der Unterschicht verdorben. Verdorben! Was sagt man dazu? – Wir sind an der Haltestelle.« Sie hielt Fate zurück und hob die Hand, als die Trambahn langsam die steile Straße heraufkam.
Fate lachte glucksend. »In einer anderen Gesellschaftsschicht möchte ich gar nicht leben.« Die Bahn hielt an, und sie stiegen ein.
»Ich auch nicht.« Tor führte Fate zu einer hölzernen Sitzbank, von der zwei Sommerleute respektvoll aufgestanden waren. »Aber was soll's? Im Restaurant kann ich mich abends wenigstens sinnvoll beschäftigen, jetzt, wo Shotwyn im Bett so nachgelassen hat. Nicht, daß wir es überhaupt nicht mehr trieben ... Manchmal überkommt es uns noch, wenn du verstehst, was ich meine.«
Fate schmunzelte. »Ich kann mir ziemlich gut vorstellen, was du meinst.«
Tor blickte aus dem Fenster auf die Geschäfte und Verkaufsstände der Unteren Stadt, während sich die
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