Tiamat-Zyklus 2 - Die Sommerkönigin 1 - Der Wandel der Welt
antwortete Capella Goodventure. »Sie müssen ihr dienen, ganz gleich, was sie von ihr halten.«
»Von mir aus kannst du das glauben.« Tor wandte sich ab, um ihre Kleidung zu säubern; sie benutzte den Vorfall, um sich einen Schwamm und angenehmere Gesellschaft zu suchen.
Sie ging zum Haupteingang zurück, wo sie mit Bestimmtheit Danaquil Lu oder Clavally treffen würde. Einer von den beiden war immer hier, um das Projekt zu unterstützen; die Winterleute sollten begreifen, daß die Sibyllen den technischen Fortschritt garantierten, und den Sommerleuten wollten sie die anerzogene Scheu vor allem Neuen und Modernen nehmen. Mit einer Geduld, die Tor immer wieder in Erstaunen versetzte, beantworteten sie jede technische oder persönliche Frage. Aber dafür waren sie halt Sibyllen, sagte sie sich, und sie selbst nur ein ganz gewöhnlicher Mensch.
Sie erspähte Danaquil Lu, der mit seinem Anverwandten Borah Clearwater direkt im Eingang stand. »Das darf doch nicht wahr sein, alter Junge – ich traue meinen Augen nicht!« Clearwater brüllte mal wieder wie ein brünstiger Kleybulle. Tor ging näher heran und fragte sich, worüber sich der alte Nörgler schon wieder beschwerte. Clearwater schlug mit seinen Pranken auf Danaquil Lus Schulter und schüttelte ungläubig den Kopf. »Du kannst ja gerade stehen, Mann, das ist ein Wunder ...«
Danaquil Lu lächelte zurückhaltend. »Nein, Onkel, das verdanke ich der modernen Medizin; ich habe mich endlich operieren lassen.«
»Bei den Göttern!« donnerte Clearwater. »Und du hast es überlebt! Sie müssen dich ja aufgeschlitzt haben wie einen Fisch.«
»Nein«, widersprach Danaquil Lu. »Deshalb habe ich ja gewartet, bis ... Verflixt noch mal, Onkel, du solltest mir endlich zuhören, wenn ich dir solche Dinge erkläre.« Er zuckte die Achseln in einer Weise, wie es ihm noch vor drei Monaten nicht möglich gewesen wäre. »Sieh dich doch um!« Er deutete auf die Ansammlung von technischen Geräten. Tor entdeckte Danaquil Lus Tochter Merovy, die zusammen mit Tammis Dawntreader Kisten aufeinandergestapelt hatte, nun ihre Last absetzte und zu ihrem Vater lief. »Siehst du, Onkel Borah«, triumphierte sie. »Ich sagte dir doch, er würde wieder ganz gesund.«
Clearwater sah abwechselnd das Mädchen und Danaquil Lu an. Sein grauer Bart wippte, wie wenn er an einem zähen Brocken Fleisch kaute. »Bei allen Göttern, mir kommt es wie ein Wunder vor, Dana ... Bin ich froh, daß du mir wieder in die Augen sehen kannst.« Er wandte sich an Merovy. »Dieses Mal gebe ich sogar zu, daß ich Unrecht hatte.«
Danaquil Lu nickte lächelnd und drückte kurz seine Tochter an sich, ehe sie ihm davonschlüpfte. »Ich fühle mich wie neugeboren«, sagte er leise.
»Wo ist Gran Selen? Ist sie nicht mitgekommen?« fragte Merovy. »Wenn sie Tammis und Ariele sehen will, die beiden sind hier.« Sie schaute Tammis an, der mit einer Kiste in den Händen dastand und auf sie wartete. Als er ihr zulächelte, strahlte sie auf, und ihr Gesicht verschönte sich.
»Na ja, du weißt ja, wie eigensinnig sie ist.« Clearwater schnitt eine Grimasse, so daß sein Schnurrbart sich sträubte. »Sie meint, soviel
Neues
auf einmal kann sie nicht vertragen. Ich konnte sie nicht zum Mitkommen überreden. Soll sie ruhig bei Mond bleiben, wenn die Zeit für sie hat, sie sieht sie ohnehin selten genug.«
»Und wie funktionieren die Paddelmaschinen auf deinen Seehaarfeldern, Onkel?« erkundigte sich Danaquil Lu, der bewußt das Thema wechseln wollte.
»Gut, gut ...« Clearwater hob den Kopf und spähte in den Laden hinein. »Weißt du, Jakard Homestead hat mir irgendwas von einem Hilfsmechanismus erzählt, mit denen ich meine Pumpen wieder in Betrieb nehmen könnte. Nicht, daß ich ihm glaube, aber da ich schon mal hier bin, kann ich mich auch gleich umsehen ... damit ich ihm beweisen kann, daß er unrecht hat.«
Danaquil führte seinen Onkel fort, und dabei kamen sie an einer Gruppe von ausgelassenen Jugendlichen aus dem Wintervolk vorbei. Tor sah, daß Ariele Dawntreader mitten unter ihnen stand, ihr milchweißes Haar umrahmte ihr Gesicht wie eine duftige Wolke. Wie immer, befand sie sich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Sie ließ sich von Elco Teel Graymount umarmen und beugte sich in einer melodramatischen Geste nach hinten.
Unbeeindruckt wandte Tor den Blick von ihr ab und sah zu Arieles Bruder Tammis hinüber, der Merovy beim Arbeiten half. Merovy verbrachte viel Zeit hier, weil ihre Eitern es von ihr
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