Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
ihm so selbstsicher, als hätte sie den Vorgang tatsächlich erklären können.
Er riß sich aus seiner Trance und hörte auf zu gaffen; dann blickte er betont auf die Phiole in ihrer Hand. Seine Stimme klang gewollt gleichgültig, doch seine gesamte Haltung, jede seiner Bewegungen, verrieten die nervöse Anspannung, unter der er stand. »Und ich den meinen.«
Triumphierend ballte sie die Faust über der Phiole.
»Übrigens«, sagte er mit gepreßter Stimme, »hat man mir berichtet, daß in den Gewässern um Karbunkel wieder Mers aufgetaucht sind. Nichts hat sich geändert. Beim nächsten Blackout weiß ich wenigstens, wer dafür verantwortlich ist. Und sagen Sie Ihren Leuten, sie sollen uns nicht in die Quere kommen, andernfalls müssen sie die Konsequenzen tragen – Herrin.« Er verbeugte sich steif, nickte Jerusha brüsk zu und entfernte sich rasch aus der Halle.
Mond biß sich auf die Lippe und betrachtete die Phiole. Dann hob sie den Kopf und rief Vhanu hinterher: »Jedes Unrecht wird sich dreifach an Ihnen rächen!«
Er wirbelte herum und starrte sie an; ganz deutlich sah sie den Ausdruck in seinen Augen, bevor er seinen Weg fortsetzte.
Jerusha schaute ihm nach und schickte sich nicht an, ihn hinauszubegleiten. Mit besorgter Miene wandte sie sich an Mond. »Wie hast du das gemacht?« fragte sie.
»Du sagtest doch, du hättest mit dem Energieausfall nichts zu tun.«
»Das stimmt auch«, murmelte Mond, während sie den Anblick von Vhanus gehetztem Gesicht nicht loswurde.
»Aber du hast doch die Lichter wieder angehen lassen.«
Entkräftet zuckte sie die Achseln und suchte nach einer ehrlichen Erklärung, ohne die Wahrheit sagen zu müssen.
»Habt ihr dafür gesorgt, daß die Energie zurückkommt, als ihr drunten im Schacht wart?« fragte Jerusha.
»Ja«, erwiderte Mond erleichtert.
»Mond ...« Jerusha zögerte. »Was ist sonst noch da drunten passiert? Ihr wart stundenlang fort. Tammis
war es ein Unfall? Oder hat Kullervo ...?«
Mond schüttelte den Kopf. »Nein. Es war nicht Kullervo. Tammis stand dem Schicksal im Weg. Seine Gottheit hat ihn getötet, Jerusha.«
Und die Erinnerung an Miroe.
Doch das sprach sie nicht aus. »Ich ... ich kann nicht darüber reden. Unser Aller Mutter ...« Ihre
Hand, die sich um die Phiole krampfte, begann zu zittern. »Ich kann es nicht.«
Jerusha wirkte verkrampft, unschlüssig, als fürchte sie sich davor, einen falschen Schritt zu tun.
Mond sah den Schatten des Zweifels, der Jerusha quälte, seit sie in die Grube hinabgestiegen waren. »Jerusha, hast du Angst vor mir?« fragte sie.
Jerusha blickte sie eine geraume Weile an, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich fürchte nur, Vhanu wird nicht eher Ruhe geben, bis er weiß, wie du die Energie wieder eingeschaltet hast.« Sie deutete auf den beleuchteten Schacht.
Mond schaute wortlos in die Richtung, in der Vhanu verschwunden war.
»Und was ist mit den Mers?« wollte Jerusha wissen. »Hast du nur die Energiezufuhr wiederhergestellt oder noch andere Dinge in Gang gesetzt?«
Mond zögerte. »Es war noch einiges mehr ... aber lediglich die Energie konnte ich bei Vhanu als Druckmittel einsetzen.«
Jerusha runzelte die Stirn, und Mond merkte ihr an, wie frustriert sie war. »Vielleicht hättest du härter verhandeln sollen«, meinte sie und deutete auf die Phiole. »Den Preis, den du für Reede Kullervos Leben bezahlt hast, scheint mir der Kerl kaum wert zu sein.«
Mond spürte ein enges Gefühl in der Brust, das immer stärker wurde. »Es geht nicht nur um sein Leben, sondern auch um das von Ariele. Reede Kullervo kann meine Tochter vielleicht retten.«
Jerusha schnitt eine Grimasse, wie wenn sie Abbitte leisten wolle, und nickte.
»Außerdem hat er den Tod nicht verdient – und er verdient es nicht, noch länger von irgend jemand benutzt zu werden. Ich werde dafür sorgen, daß man ihn künftig in Ruhe läßt.« Mond wandte sich ab und überquerte die Brücke, die in das Innere des Palastes führte.
Jerusha folgte ihr stumm, als sie durch die endlosen Säle zurückwanderten und schließlich wieder in Reede Kullervos Zimmer standen.
Bei ihrem Eintreten blickten Clavally und Danaquil Lu hoch. Merovy saß neben ihrer Mutter, den Kopf an ihre Schulter gelehnt, die Augen geschlossen, während Clavally beruhigend ihr Haar streichelte.
Mond trat zu Reede ans Bett. Auch seine Augen waren zu, und als sie ihn ansprach, reagierte er nicht. »Reede«, wiederholte sie, befürchtend, daß er sie dieses Mal wirklich
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