Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
der falschen Stelle zuzutreten. Das ist der eigentliche Grund, weshalb ich Sie bat, zu mir zu kommen. Ich will mich mit jemandem besprechen, der sich auf Tiamat gut auskennt, und gleichzeitig über die Vorgehensweise der Hegemonie im Bilde ist. Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann. Für mich ist es wichtig zu wissen, welche Stimmung in Karbunkel vorherrscht, und wie sich unsere Anwesenheit auswirkt, im Guten wie im Schlechten. Wenn ich etwas verbessern kann ...«
Seit fast einem halben Standardjahr waren sie nun hier, und Gundhalinus Zeit und Aufmerksamkeit wurden stark beansprucht. Doch die Erneuerung ihrer Operationsbasis machte rasche Fortschritte, weil viel von der zurückgelassenen Technologie intakt geblieben war. Im Gegensatz zu den früheren Sommerköniginnen hatte Mond nicht angeordnet, sämtliche Gerätschaften der Außenweltler ins Meer zu werfen. Bei vielen Systemen brauchten sie lediglich die Mikroprozessoren auszuwechseln, die die Hegemonie bei ihrem endgültigen Abflug durch einen elektromagnetischen Impuls zerstört hatte.
Das bedeutete, daß sie eine Menge der mitgebrachten Ausrüstung dazu benutzen konnten, sich das Leben bequemer zu gestalten, wie sie es von Kharemough her gewöhnt waren. Die Moral seiner Mitarbeiter und Berater hatte dadurch Auftrieb erhalten. Er war fest davon überzeugt, daß dieser Umstand sein Argument unterstützte, den bereits erreichten Fortschritt auf Tiamat nicht wieder zunichte zu machen. Diese Einstellung sorgte nicht nur für ein gutes gesellschaftliches Klima, sondern war obendrein wirtschaftlich sinnvoll, denn wenn sie den Einheimischen die modernen Errungenschaften ließen, konnten sie ihre eigenen Pläne um so zügiger vorantreiben.
»Ich führe hier einen heiklen Balanceakt durch; es ist überaus wichtig, mit beiden Seiten so gut wie möglich zu kooperieren.«
Wenn es geht.
»Bis jetzt scheint ja alles reibungslos zu klappen«, meinte Jerusha. »Mond – die Königin – und die meisten Tiamataner finden es sehr beruhigend, daß Sie die Entwicklung dieser Welt nicht unterdrückt haben. Aber bis jetzt war es ja auch einfach, gut miteinander auszukommen, weil noch nicht viele Außenweltler hier sind. Sobald Tiamat wieder für den Zuzug freigegeben wird, fangen die Komplikationen an. Wann werden Sie die Erlaubnis geben, daß Zivilisten wieder unkontrolliert einreisen dürfen? Wann öffnen sich die Schleusen für Handel und Kontakte?«
Er wischte sich die Hände an dem Schwamm neben seinem Teller ab. »Weil wir unserem Organisationsplan voraus sind, wollte ich bereits nächsten Monat die ersten Zivilisten hereinlassen. Nach und nach erhöhen wir dann die Zahl, um die Dinge im Gleichgewicht zu halten. Elemente aus der Unterwelt möchte ich möglichst lange fernhalten. Ich will nicht, daß Karbunkel wieder zu dem wird, was es früher war – eine bequeme Zuflucht für den Abschaum der Galaxis.«
»Daran war hauptsächlich Arienrhod schuld«, sagte Jerusha und beugte sich vor. »Sie ließ es zu, daß Kriminelle sich hinter dem Rechtsgrundsatz der Unabhängigkeit hier auf Tiamat verschanzten, weil sie uns Blauen damit eins auswischen wollte. Mit der neuen Königin werden Sie dieses Problem nicht haben.«
Er nickte und trank ein Glas Saft; überrascht schmeckte er das herbe, würzige Aroma einer Frucht, die er seit über zehn Jahren nicht mehr gekostet hatte. »Das weiß ich, den Göttern sei Dank. Aber e« gibt andere Mittel und Wege, sich Einfluß zu verschaffen, auch wenn man nicht mit offenen Armen empfangen wird ... das wissen Sie genauso gut wie ich, und vielleicht besser als die Königin.«
Mittel und Wege, von denen nicht einmal Jerusha PalaThion im Traum etwas ahnte.
Er blickte wieder hoch. »Ich möchte den Kulturschock so gering wie möglich halten, der einfach eintreten muß, sobald Handelswaren wieder leicht zugänglich werden, und die Habgier um sich greift.«
»Sprechen Sie von Tiamat, oder generell?«
»Ich meine jeden – einschließlich der Tiamataner. Das ist der zweite Grund, weshalb ich heute mit Ihnen sprechen wollte. Ich möchte Sie fragen, ob Sie nicht vielleicht Lust hätten, meine Chefinspektorin zu werden.«
Jerusha setzte sich gerade hin und starrte ihn ungläubig an. »Ist das Ihr Ernst?« fragte sie und fing unvermittelt an zu lachen. »Natürlich – in so einer Angelegenheit würden Sie gewiß nicht scherzen. Aber warum fragen Sie ausgerechnet mich?«
»Wegen all der Dinge, über die wir gerade geredet haben. Wir beide
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