Adam liebt Eve
1. KAPITEL
Sowie sie sicher sein konnte, dass sie allein auf dem Balkon war, gab Jocelyn Hunter es auf, eine fröhliche Miene aufzusetzen. Es war anstrengend, stundenlang zu lächeln und sich angeregt mit anderen Partygästen zu unterhalten, wenn einem überhaupt nicht danach war. Jetzt konnte sie nicht mehr. Sie war nur zu dieser Verlobungsparty gekommen, um Anna nicht zu enttäuschen, mit der sie schon seit vielen Jahren befreundet war.
In ihrem ärmellosen Kleid fröstelte Jocelyn, denn es wehte eine recht kühle Brise. Hoffentlich kann ich mich bald verabschieden, dachte sie. Aber wo sollte sie dann hin? Etwa in ihre leere Wohnung? Wütend betrachtete sie die Aussicht, bis ein diskretes Hüsteln an der Balkontür verriet, dass sie nicht mehr allein war. Als sie sich unwillig umdrehte, bemerkte sie einen großen Mann, der in jeder Hand ein Glas hielt.
“Ich habe beobachtet, wie Sie sich davongestohlen haben.” Er hielt ihr ein Glas hin. “Ich dachte, Sie hätten vielleicht gern einen Schluck getrunken.”
Da es sehr unhöflich gewesen wäre, einem von Annas Gästen eine rüde Abfuhr zu erteilen, bedankte Jocelyn sich und nahm das Glas.
“Möchten Sie lieber allein sein?”, fragte der Mann nach längerem Schweigen.
Jocelyn sah auf und musste den Kopf zurücklegen, um ihn ansehen zu können. Das Gefühl war etwas ganz Neues für sie. “Sie haben ebenso das Recht, über den Hydepark zu blicken wie ich”, sagte sie und zuckte die Schultern.
“Okay, dann bleibe ich.” Er stieß mit ihr an. “Worauf trinken wir?”
“Auf das glückliche Paar?”
“Auf das glückliche Paar.” Er trank nur einen winzigen Schluck.
“Mögen Sie keinen Champagner?”, fragte sie höflich.
“Nein. Sie?”
Sie schüttelte den Kopf. “Ich kann das Zeug nicht leiden, aber das muss unter uns bleiben.”
“Ihr Geheimnis ist bei mir bestens aufgehoben”, versicherte er ihr.
Jocelyn lehnte sich an einen Pfeiler und wunderte sich darüber, dass sie sich so bereitwillig mit dem Mann unterhielt. Jedenfalls war es besser, nicht mehr allein zu sein. “Sind Sie mit Hugh befreundet?”
“Nein.” Er zuckte die breiten Schultern. “Ein Bekannter hat mich mitgeschleift.”
Sie musterte ihn amüsiert. “Sie sind eigentlich zu groß, um mitgeschleift zu werden. Warum hatten Sie denn keine Lust, zu dieser Party zu kommen?”
“Ich mache mir nichts aus solchen Veranstaltungen. Aber mein Bekannter hat darauf bestanden, dass ich mich auch mal amüsiere und nicht immer nur arbeite.” Er lehnte sich lässig gegen die andere Seite des Pfeilers. “Damit liegt er mir ständig in den Ohren. Ab und zu gebe ich daher nach. Sie brauchen den Champagner nicht zu trinken, wenn Sie ihn nicht mögen”, fügte er hinzu.
“Ich habe mich die ganze Zeit mit Mineralwasser begnügt. Ein Glas Champagner hebt vielleicht meine Stimmung.” Sie trank das Glas in einem Zug leer.
Der Mann nickte nachdenklich. “Ich verstehe.”
“Was verstehen Sie?”
“Ich beobachte Sie schon eine ganze Weile. Ihre Körpersprache ist sehr ausdrucksvoll.”
Gespielt entsetzt sah Jocelyn ihn an. “Was haben Sie denn daraus gefolgert?”
“Dass irgendwas in Ihrem Leben schiefgelaufen ist.”
“Aha. Und deshalb haben Sie beschlossen, mir das Allheilmittel Champagner herauszubringen. Spielen Sie öfter den barmherzigen Samariter?”
“Nein, eigentlich nie.”
“Und warum tun Sie es jetzt?”
Er beugte sich vor. “Aus verschiedenen Gründen. Hauptsächlich aber, weil ich neugierig bin.”
“Worauf?”
“Die Stimmung hinter dem aufgesetzten Lächeln.”
“Oh. Und ich dachte, man würde mir nichts anmerken.” Jocelyn wandte sich ab und ließ den Blick über den Park gleiten.
“Außer mir hat niemand etwas bemerkt.”
“Hoffentlich haben Sie recht. Ich möchte Anna nämlich auf keinen Fall das Fest verderben.”
“Sind Sie mit Anna befreundet?”
“Ja. Sie ist meine älteste und beste Freundin. Heute Abend ist sie viel zu aufgeregt, um zu bemerken, dass etwas nicht stimmt.”
Der Mann kam um den Pfeiler herum und stellte sich so dicht zu Jocelyn, dass er mit dem Smokingärmel ihren nackten Arm berührte. Ein Schauer überlief sie.
“Wohnen Sie bei Anna?”, fragte der Mann.
“Nein.” Sie fröstelte.
“Ihnen ist kalt. Vielleicht sollten Sie wieder hineingehen.”
“Noch nicht. Aber lassen Sie sich nicht aufhalten.”
“Möchten Sie mich los sein?”
“Von mir aus können Sie gern bleiben.” Sie hoffte, dass er ihr weiterhin
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