Tiamat-Zyklus 3 - Die Sommerkönigin 2 - Die Abkehr der Welt
Sie setzte sich auf den Stuhl neben dem Schreibtisch und betrachtete angelegentlich ihre Hände – die Runzeln, die knotigen Gelenke, die Schwielen, an die sie sich nach so vielen Jahren längst gewöhnt hatte.
»Wie geht es dir denn?« fragte Mond leise. »Vermißt du jetzt, wo die Hegemonie zurück ist, Miroe nicht mehr so sehr, oder ist alles nur noch schlimmer geworden?«
Jerusha fiel ein, daß sie seit vielen Wochen kein privates Gespräch mehr geführt hatten, dazu hatte die Zeit nie gereicht. »Ich glaube, beides trifft zu.«
»Ich verstehe, was du meinst.« Mond schaute in die Ferne, wie wenn ihre Gedanken abschweiften. Abwesend spielte sie mit einer Haarsträhne. »Die Anwesenheit der Hegemonie verstärkt alles mit doppelter Kraft.« Sie betrachtete das Computerterminal. Es gehörte zu einem System, das während ihrer gesamten Regierungszeit nutzlos und tot dagelegen hatte, und erst vor kurzem neu aktiviert worden war. Jerusha fand es erstaunlich, wie rasch Mond gelernt hatte, mit dieser Technologie umzugehen. »Und alles bekommt eine doppelte Bedeutung.«
In diesen Worten erkannte Jerusha BZ Gundhalinu, wie sein Bild in einem Spiegel. »Du solltest mit BZ sprechen, Mond.«
»Ich spreche ja mit ihm, wir treffen uns mehrmals pro Woche.« Ihre Augen füllten sich wieder mit einem Ausdruck. »Aber niemals allein. Ich kann nicht, Jerusha.«
»Wovor hast du Angst?« Jerusha hob die Brauen. »Was, glaubst du, könnte er tun?«
»Es geht darum, was ich vielleicht tun könnte.« Sie wurde rot. »Wenn ich ihn anschaue, wenn ich ihn reden höre ... Dabei dachte ich, gegen solche Gefühle sei ich immun geworden ... etwas in mir sei abgestorben. Nachdem ich Funke verloren hatte, erhoffte ich mir vom Leben nur noch Ruhe ... Frieden.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kenne BZ ja kaum, Jerusha, unsere Bekanntschaft liegt viele Jahre zurück. Trotzdem begehre ich ihn, wenn er bei mir ist ...« Sie ballte die Fäuste. »Ich kann das gar nicht verstehen, ich weiß nicht einmal, ob es an ihm liegt oder an mir. Aber ich kann mir selbst nicht mehr trauen ...« Sie verstummte.
»Das ist das Törichtste, was du in zwanzig Jahren von dir gegeben hast«, versetzte Jerusha kopfschüttelnd. »Du bist es ihm schuldig, mit ihm unter vier Augen zu sprechen. Ihr müßt miteinander reden ... über die Kinder.« Mond blickte ablehnend drein. »Glaubst du etwa, er ist ahnungslos? Er weiß Bescheid.«
Überrascht sah Mond sie an. »Du hast mit ihm gesprochen?«
Jerusha nickte.
»Und wie geht es ihm?«
»Er steckt bis zum Hals in Bürokratie. Aber ich glaube nicht, daß er seinen Beschluß bereut – bis jetzt jedenfalls.«
»Worüber habt ihr euch unterhalten?« Monds Gesichtsausdruck änderte sich abrupt. »Jerusha, spielst du mit dem Gedanken, Tiamat zu verlassen?«
»Nein.« Fast hätte Jerusha gelacht, als sie diese abwegige Frage hörte. »Nein ... Er bat mich, zu ihm zu kommen.« Sie holte tief Luft. »Er bot mir einen Posten an, Mond. Ich soll Chefinspektorin werden.«
Fragend starrte Mond sie an. »Aber dann würdest du doch für die Hegemonie arbeiten.«
Schon wieder.
Jerusha hörte den Zweifel heraus und wunderte sich nicht. Als sie damals für die Hegemonie gearbeitet hatte, galt sie als Feindin dieser Welt, obwohl sie die Situation selbst nicht so sah. »Ich würde für BZ arbeiten«, antwortete sie.
»Und was würde aus deiner Position als Polizeipräsidentin?«
»Wenn ich den Posten der Chefinspektorin annähme, wüßte ich gleich mehrere Leute, denen ich zutraue, mein Amt weiterführen zu können. Ich würde dafür sorgen, daß es gut besetzt wird.«
»Hast du dich schon entschlossen?«
Um ein Haar hätte Jerusha den Kopf geschüttelt, doch blitzartig wurde ihr klar, daß ihr Entschluß feststand. »Ich glaube, drüben kann ich mehr Gutes bewirken«, sagte sie bedächtig, »so daß wir alle davon profitieren. Ich kenne beide Seiten. BZ braucht Leute mit meiner Erfahrung, die ihm den Rücken decken.«
»Und wer wird mich jetzt beschützen?« fragte Mond ein wenig traurig.
»BZ kümmert sich darum.« Jerusha lächelte. »Und ich bin ja auch noch da.« Wieder betrachtete sie ihre Hände, und ihr Lächeln erlosch. »Mond, seit Miroe tot ist, habe ich das Gefühl, ich versinke immer tiefer. Alles was ich bin, was ich habe und was ich tue, genügt mir nicht mehr. Ich glaube, ich
brauche
diese Aufgabe. Ich brauche die Herausforderung, das Kopfzerbrechen, die Konfrontationen und die Probleme – ich brauche einen
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