Tief im Herzen: Roman (German Edition)
und an das, was sie beide miteinander erlebten.
Ray lachte leise. »Aus dem Privatleben meiner Jungs
hab’ ich mich immer rausgehalten, Cam. Mach dir deshalb keine Sorgen. Sie ist sehr schön«, sagte er leichthin. »Sie versucht ihre Schönheit während der Arbeit zu verstecken, aber ein Mann mit gutem Auge durchschaut es. Du hattest immer ein gutes Auge für Frauen.«
»Und du?« Cam ärgerte sich im selben Moment, daß er diese Frage stellte. Es war eine so friedliche, vollkommene Nacht. Und er wußte nie, wie lange diese Heimsuchungen, Einbildungen oder was auch immer dauerten. Er mußte fragen. »Wie war dein Auge für Frauen, Dad?«
»Scharf genug, ich habe ja deine Mutter entdeckt, nicht wahr?« Ray seufzte. »Ich habe nie eine andere Frau angerührt, seit ich Stella die Treue geschworen hatte, Cam. Ich habe hingesehen, bewundert, aber niemals berührt.«
»Du mußt mir von Seth erzählen.«
»Ich kann nicht. Das hast du gut gemacht, ihn mit den Zeichnungen in euer Geschäft einzubeziehen. Er muß wissen, daß er dazugehört. Ich wünschte, mir wäre mehr Zeit für ihn geblieben, für euch alle. Aber es sollte nicht sein.«
»Dad …«
»Weißt du, was ich vermisse, Cam? Die albernsten Dinge, so z. B. wenn ihr drei euch über irgend etwas streitet. Es gab Zeiten, da dachten deine Mutter und ich, ihr würdet uns durch euer Gemecker in den Wahnsinn treiben, und jetzt fehlt es mir. Ich vermisse das Angeln im Morgengrauen, wenn die Sonne gerade anfängt, den Dunst über dem Wasser aufzulösen. Mir fehlt das Unterrichten. Mir fehlt dieser Ausdruck im Gesicht eines Studenten, wenn es klick macht und er etwas begriffen hat. Ich vermisse die hübschen Mädchen in ihren Sommerkleidern, und morgens um drei im Bett zu liegen und den Regen aufs Dach trommeln zu hören.«
Dann wandte er den Kopf und lächelte. Seine Augen waren so hell und strahlend blau, wie das Sweatshirt es einmal gewesen war. »Der Mensch sollte diese Dinge zu würdigen wissen, solange er sie hat. Doch das geschieht selten. Er ist zu beschäftigt mit seinem Leben, um hin und
wieder innezuhalten, um die kleinen Dinge zu bemerken. Dabei gibt es so viele davon.«
»Im Augenblick geht mir mehr durch den Kopf als Regen, der aufs Dach trommelt.«
»Ich weiß. Du mußt ein großes Durcheinander sortieren, aber du wirst es schaffen. Du mußt dir noch darüber klarwerden, was du willst und was du brauchst und was in deinem Inneren vor sich geht. Dort passiert mehr, als du denkst.«
»Ich will Antworten. Ich brauche Antworten.«
»Du wirst sie finden«, sagte Ray besänftigend. »Wenn du dir dafür mehr Zeit gibst.«
»Sag mir eins … Wissen Ethan und Phillip, daß du … hier bist?«
»Sie werden es wissen«, Ray lächelte erneut, »wenn die Zeit reif ist. Morgen müßte es ein schöner Tag zum Segeln werden. Genieße die kleinen Dinge«, sagte er und verschwand.
17. Kapitel
Er hielt Ausschau nach Anna. Cam wußte, daß dies eine weitere Premiere in seinem Leben war. Seines Wissens hatte er noch nie nach einer Frau Ausschau gehalten, auf sie gewartet. Bereits im Teenageralter waren sie ihm nachgelaufen, hatten ihn angerufen, waren am Haus vorbeiflaniert, hatten sich in der Schule in der Nähe seines Spinds herumgetrieben. Vermutlich hatte er sich einfach daran gewöhnt, war verwöhnt.
Er hatte sich nie der typisch männlichen Angst ausgesetzt, um die erste Verabredung zu bitten. Als er fünfzehn war, hatte die üppige Allyson Brentt ihn eingeladen, ein Mädchen von sechzehn Jahren, fast schon eine Frau. Sie hatte ihn sogar vor seiner Haustür in dem 72er Chevy Impala ihres Vaters abgeholt. Er wußte nicht recht, wie er es
fand, von einem Mädchen chauffiert zu werden. Bis Allyson auf dem Blue Crab Drive gehalten und vorgeschlagen hatte, sie sollten den Rücksitz benutzen.
Dagegen hatte er nichts einzuwenden gehabt.
Seine Unschuld an die hübsche Allyson mit den geschickten Händen zu verlieren, war eine angenehme Erfahrung gewesen.
Er mochte Frauen, mochte alles an ihnen – sogar die nervigen Eigenschaften, die eben zu Frauen gehörten. Cam fand, daß die Männer den größeren Gewinn aus dem Geschäft zogen. Sie bekamen etwas zu sehen, konnten berühren und riechen. Und wenn sie nicht komplette Idioten waren, konnten sie sich diesen weichen Armen gewöhnlich wieder entziehen und ohne allzu große Probleme zur nächsten weiterwandern.
Er war nie ein Idiot gewesen.
Aber nun hielt er Ausschau nach Anna und wartete auf sie. Und er
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