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Tief im Herzen: Roman (German Edition)

Tief im Herzen: Roman (German Edition)

Titel: Tief im Herzen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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ihn so gut durchschaust, warum nimmst du ihn dann nicht zu dir?«
    »Weil ich jeden Morgen mit der Dämmerung auf dem Wasser bin. Solche Kids brauchen einen Aufpasser.« Das war Ethans Meinung, und er würde dabei bleiben, und wenn man ihm mit allen Qualen der Hölle drohte. »Von uns dreien bist du der einzige, der nicht arbeitet.«
    »Das muß ich ändern«, murmelte Cam.
    »Ach ja?« Leise lachend bereitete Ethan den Tee zu. »Soweit kommt’s noch.«
    »Es kommt eher dazu als du denkst. Heute war eine Sozialarbeiterin hier.«
    Ethan ächzte und überlegte, was das für sie bedeuten konnte. »Was wollte sie?«
    »Uns überprüfen. Sie will auch mit dir sprechen. Und mit Phillip. Mit Seth hat sie sich schon unterhalten, wonach ich ihn gerade diplomatisch ausfragen wollte, als er wieder mal Schaum vorm Mund hatte.«
    Cam runzelte die Stirn und dachte an Anna Spinelli mit den tollen Beinen und der ordentlichen Aktenmappe. »Wenn wir die Prüfung nicht bestehen, wird sie dafür sorgen, daß er von hier weggeholt wird.«
    »Er geht nirgends hin.«
    »Das hab’ ich auch gesagt.« Cam fuhr sich mit der Hand durchs Haar, was ihn daran erinnerte, daß er eigentlich zum Friseur hatte gehen wollen. In Rom. Seth war nicht der einzige, der nirgends hinging. »Aber wir werden hier einige grundlegende Veränderungen vornehmen müssen, Bruderherz.«
    »Es ist doch gut so, wie es ist.« Ethan füllte ein Glas mit Eiswürfeln und goß mit Tee auf.
    »Du hast leicht reden.« Cam trat auf die Veranda und ließ die Fliegentür hinter sich zufallen. Er ging zum Geländer und beobachtete, wie Ethans geschmeidiger Chesapeake Bay Retriever Simon mit dem fetten Welpen Tauziehen spielte. Oben hatte Seth offenbar beschlossen, sich zu rächen, indem er das Radio zu ohrenbetäubender Lautstärke aufdrehte. Kreischender Heavy Metal Rock drang durch die Fenster nach draußen.
    Cam würde sich hüten, dem Jungen zu sagen, er solle die Musik leiser machen. Er trank von seinem Bier, lockerte so gut es ging die Verkrampfungen in seinen Schultern und konzentrierte sich auf die weißen Edelsteine, die die untergehende Sonne auf die Wasseroberfläche zauberte.
    Die Brise frischte auf, so daß das Gras an ein wogendes
Weizenfeld in Kansas erinnerte. Ein Erpel flog quakend vorbei.
    Lucy, ich bin wieder daheim, dachte Cam, und er mußte fast lächeln.
    Trotz der dröhnenden Musik hörte er das sanfte rhythmische Knarren des Schaukelstuhls. Bier schoß aus dem Flaschenhals, als er herumwirbelte. Ethan hörte auf zu schaukeln und starrte ihn an.
    »Was ist?« wollte er wissen. »Himmel, Cam, du machst ein Gesicht, als ob du einen Geist gesehen hättest.«
    »Nichts.« Cam fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, dann ließ er sich langsam auf der Veranda nieder und lehnte sich gegen den Pfosten. »Nichts«, wiederholte er, stellte jedoch das Bier ab. »Ich bin ein wenig nervös.«
    »Das bist du doch immer, wenn du länger als eine Woche an einem Fleck bleibst.«
    »Reiz mich nicht, Ethan.«
    »War bloß so’n Gedanke.« Da Cam erschöpft und blaß aussah, griff Ethan in die Brusttasche seines Hemdes und holte zwei Zigarren heraus. Es würde nicht schaden, heute ausnahmsweise mal nicht erst nach dem Abendessen zu rauchen. »Zigarre?«
    Cam seufzte. »Ja, warum nicht?« Statt selbst aktiv zu werden, ließ er Ethan beide anzünden, und blies dann träge Rauchringe in die Luft. Als die Musik jäh abbrach, hatte er das Gefühl, einen kleinen persönlichen Sieg errungen zu haben.
    In den nächsten zehn Minuten waren nur das Klatschen des Wassers, Vogelrufe und das Gemurmel der Brise zu hören. Die Sonne sank tiefer und überzog den Himmel im Westen mit einem weichen, rosigen Dunstschleier, der den Horizont verschwimmen ließ.
    Es sah Ethan ähnlich, keine Fragen zu stellen, dachte Cam. Er liebte es, still dazusitzen und zu warten. Er verstand es, wenn ein anderer das Bedürfnis hatte zu schweigen. Diese bewundernswerte Eigenschaft seines Bruders hatte er beinahe vergessen. Und vielleicht hatte er auch
vergessen, wie sehr er diesen Bruder liebte, den Ray und Stella ihm geschenkt hatten, gestand er sich ein. Aber selbst jetzt, da es ihm wieder bewußt wurde, war ihm nicht klar, wie er sich verhalten sollte.
    »Wie ich sehe, hast du die Stufen repariert«, meinte Ethan, als er merkte, daß Cam sich beruhigt hatte.
    »Ja. Das Haus könnte auch mal einen Anstrich gebrauchen.«
    »Darum werden wir uns später noch kümmern.«
    Sie würden sich um sehr vieles kümmern

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