Tief im Herzen: Roman (German Edition)
mit mir machen.«
»Schon wieder ein Irrtum«, sagte Cam gelassen. »Wenn du niemandem dankbar sein willst, fein. Ich will deine Dankbarkeit nicht. Aber du wirst Respekt zeigen, und zwar von diesem Augenblick an. Sonst sitze nicht nur ich dir im Nacken, Kumpel, sondern wir alle drei.«
Cam setzte sich wieder und wartete, bis er sich vollends gefangen hatte. »Die Sozialarbeiterin, die heute hier war – Spinelli, Anna Spinelli – hat Bedenken bezüglich dieses Umfelds hier.«
»Was stimmt denn nicht damit?« wollte Ethan wissen. Der häßliche kleine Zusammenstoß hatte die Atmosphäre gereinigt, fand er. Jetzt konnten sie sich mit konkreten Problemen befassen. »Es ist ein gutes, solides Haus, eine hübsche Gegend. Die Schule ist gut, die Kriminalitätsrate niedrig.«
»Ich habe den Eindruck, daß mit Umfeld ich gemeint war. Im Augenblick bin ich der einzige, der hier den Aufpasser spielt.«
»Wir werden die Vormundschaft bekommen«, bemerkte Phillip. Er goß ein Glas Eistee ein und stellte es wie beiläufig neben Seths Hand, die der Junge auf dem Tisch zur Faust geballt hatte. Er konnte sich denken, daß die Kehle des Jungen inzwischen so trocken war, daß sie wie Feuer brannte. »Nach deinem Anruf habe ich mich mit dem Anwalt in Verbindung gesetzt. Der notwendige Papierkram müßte bis Ende der Woche abgeschlossen sein. Es wird eine Probezeit geben – regelmäßige Hausbesuche und Gespräche, Auswertungen. Aber sollten nicht irgendwelche schwerwiegenden Einwände auftauchen, wird es keine Probleme geben.«
»Spinelli ist ein Problem.« Cam ließ nicht zu, daß ihm die Auseinandersetzung den Appetit verdarb, und so nahm er sich noch ein weiteres Hähnchenstück. »Die klassische
Weltverbesserin. Tolle Beine, ernsthafter Charakter. Ich weiß, daß sie mit dem Jungen geredet hat, aber er ist nicht geneigt, darüber zu sprechen, also erzähle ich statt dessen von meiner Begegnung mit ihr. Sie hat Zweifel an meiner Befähigung als Vormund geäußert. Ein alleinstehender Mann, keine regelmäßige Beschäftigung, kein fester Wohnsitz.«
»Wir sind doch zu dritt.« Phillip runzelte die Stirn und stocherte in seinem Krautsalat herum. Er spürte etwas wie Schuldgefühle, und das gefiel ihm nicht.
»Darauf habe ich sie ebenfalls hingewiesen. Ms. Spinelli mit den wunderschönen italienischen Augen konterte mit der traurigen Tatsache, daß ich zufällig der einzige der drei sei, der hier mit dem Kleinen zusammenlebt. Und es wurde mir auf taktvolle Weise angedeutet, daß ich von uns dreien der ungeeignetste Kandidat für die Vormundschaft wäre. Deshalb habe ich den Vorschlag gemacht, daß wir alle hier wohnen könnten.«
»Wie meinst du das, hier wohnen?« Phillip ließ seine Gabel fallen. »Ich arbeite in Baltimore. Ich habe dort eine Wohnung. Wie zum Kuckuck soll ich hier wohnen und dort arbeiten?«
»Das ist durchaus ein Problem«, gab Cam zu. »Ein noch größeres wird sein, wie du all deine Klamotten in den Schrank in deinem alten Zimmer kriegen willst.«
Während Phillip sich eine Antwort abzuringen versuchte, klopfte Ethan mit dem Finger gegen die Tischkante. Er dachte an sein kleines und in seinen Augen vollkommenes Haus, an die Ruhe und Einsamkeit dort. Und er sah, wie Seth mit dunklen, verwirrten Augen auf seinen Teller starrte. »Was meinst du, wie lange es dauern würde?«
»Ich weiß es nicht.« Cam fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. »Sechs Monate, vielleicht auch ein Jahr.«
»Ein Jahr.« Phillip konnte nur noch die Augen schließen. »Grundgütiger.«
»Sprich doch mal mit dem Anwalt darüber«, schlug
Cam vor. »Mal sehen, was er dazu sagt. Jedenfalls müssen wir den Behörden als geschlossene Front gegenübertreten, oder sie werden ihn uns wegnehmen. Und ich muß mir eine Arbeit suchen.«
»Arbeit?« Phillip vergaß sein Elend und grinste. »Du? Und was willst du tun? In St. Chris gibt’s keinen Rennplatz. Und die Chesapeake Bay, so schön sie auch sein mag, ist nicht das Mittelmeer.«
»Ich finde etwas. Ein fester Job bedeutet ja nicht, daß es etwas Besonderes sein muß. Mir schwebt nichts vor, wofür ich einen Anzug von Armani tragen müßte.«
Er hatte sich geirrt, stellte Cam fest. Diese blöde Angelegenheit raubte ihm doch den Appetit. »Ich vermute, daß Spinelli morgen oder spätestens übermorgen wiederkommt. Wir müssen uns was einfallen lassen, und es muß so aussehen, als wüßten wir genau, was wir tun.«
»Ich werde meinen Urlaub vorziehen.« Phillip verabschiedete
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