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Tief im Herzen: Roman (German Edition)

Tief im Herzen: Roman (German Edition)

Titel: Tief im Herzen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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mich am meisten beeindruckt hat …«
    »Außer seinem Aussehen?«
    »Außer seinem Aussehen«, gab Anna lachend zu, »war die Tatsache, daß er nicht ein einziges Mal in Frage gestellt hat, daß sie Seth aufnehmen. Das ist entschieden. Er hat Seth seinen Bruder genannt, und das meint er auch so. Ich weiß allerdings nicht, was er für ihn empfindet.«
    Marilou hörte aufmerksam zu, ohne einen Kommentar abzugeben, als Anna ausführlich das Gespräch wiedergab, von Cams Bereitschaft berichtete, seinen Lebensstil zu ändern,
und von seiner Befürchtung, daß Seth ausreißen würde, wenn man ihn von dort fortbrächte.
    »Und nachdem ich mit Seth gesprochen habe«, fügte sie hinzu, »teile ich diese Einschätzung.«
    »Du glaubst, der Junge ist ein Ausreißer?«
    »Als ich ihm die Unterbringung in einer Pflegefamilie vorschlug, wurde er stinkwütend. Und ängstlich. Wenn er sich bedroht fühlt, wird er weglaufen.« Sie dachte an all die Kinder, die auf den Straßen der Städte landeten, obdachlos, verzweifelt. Sie dachte daran, was sie taten, um zu überleben, und wie viele von ihnen es nicht schafften. Ihre Aufgabe war es, dieses eine Kind, diesen einen Jungen, zu beschützen.
    »Er will dort bleiben, Marilou. Vielleicht soll es so sein. Seine Gefühle für seine Mutter sind sehr extrem, sehr negativ. Ich tippe auf Kindesmißhandlung, aber er ist nicht bereit, darüber zu reden. Zumindest nicht mit mir.«
    »Ist irgend etwas über den Aufenthaltsort der Mutter bekannt?«
    »Nein. Wir haben keine Ahnung, wo sie ist oder was sie tun wird. Sie hat die Papiere unterzeichnet, die es Ray Quinn ermöglichten, einen Adoptionsantrag zu stellen. Doch er starb, bevor diesem Antrag stattgegeben wurde. Wenn sie zurückkommt und ihren Sohn zurückhaben will …« Anna schüttelte den Kopf. »Die Quinns hätten einen Rechtsstreit am Hals.«
    »Das hört sich an, als stündest du auf ihrer Seite.«
    »Ich stehe auf Seths Seite«, sagte Anna fest. »Und das wird auch so bleiben. Ich habe mit seinen Lehrern gesprochen.« Während sie dies sagte, holte sie eine Akte heraus. »Ich habe meinen Bericht darüber hier. Ich fahre heute hin, um mit einigen Nachbarn zu reden und hoffentlich alle drei Quinns anzutreffen. Ich halte es nicht für ratsam, den Antrag auf vorläufige Vormundschaft auszusetzen, bis ich die einleitende Untersuchung abgeschlossen habe. Der Junge braucht Stabilität. Er braucht das Gefühl, erwünscht zu sein. Und selbst wenn die Quinns ihn nur wegen eines
Versprechens ihrem Vater gegenüber behalten wollen, so ist das wohl mehr, als er früher hatte.«
    Marilou nahm die Akte entgegen und legte sie beiseite. »Ich habe dir diesen Fall übertragen, weil du hinter die Fassade blickst. Und ich habe dich nicht näher informiert, weil ich deinen unvoreingenommenen Eindruck hören wollte. Jetzt werde ich dir erzählen, was ich über die Quinns weiß.«
    »Du kennst sie?«
    »Anna, ich bin an der Küste zur Welt gekommen und aufgewachsen.« Sie lächelte strahlend, und sie schien stolz darauf zu sein. »Ray Quinn war einer meiner Professoren am College. Ich habe ihn ungeheuer bewundert. Als ich meine beiden Jungen bekam, war Stella Quinn ihre Ärztin, bis wir nach Princess Anne zogen. Wir haben sie abgöttisch geliebt.«
    »Ich wünschte, ich hätte sie auch gekannt.«
    »Sie waren außergewöhnliche Menschen«, sagte Marilou schlicht. »Normal, in mancher Hinsicht sogar einfach. Und doch außergewöhnlich. Ich gebe dir ein Beispiel«, fügte sie hinzu und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Ich habe vor sechzehn Jahren das College abgeschlossen. Die drei Quinns waren Teenager. Es gab hin und wieder Klatsch. Vielleicht waren sie ein wenig wild, und die Leute fragten sich, warum Ray und Stella gerade diese halbwüchsigen Jungen mit schlechten Manieren und Gewohnheiten bei sich aufgenommen hatten. Ich war schwanger mit Johnny, meinem ersten Sohn, und arbeitete mir die Finger wund, um meinen Abschluß machen zu können und Ben, meinem Mann, zu helfen, die Miete aufzubringen. Er hatte zwei Jobs angenommen. Wir wollten uns ein besseres Leben aufbauen, und vor allem wollten wir ein besseres Leben für das zu erwartende Baby.«
    Sie hielt inne und rückte den Doppelrahmen auf ihrem Schreibtisch zurecht, damit sie die beiden jungen Männer darauf sehen konnte. »Ich habe mich auch oft gefragt, was sie dazu veranlaßt hatte, sie wollten einfach die barmherzigen
Samariter spielen. Eines Tages ließ Professor Quinn mich in sein Büro

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