Tief im Herzen: Roman (German Edition)
ich habe es nicht getan. Jetzt liegt es an euch, an dir, Ethan und Phillip. Es gab einen Grund, warum ihr drei zu mir und Stella gekommen seid, einen Grund, warum ihr drei zusammengefunden habt. Daran habe ich immer geglaubt. Jetzt weiß ich es.«
»Und was ist mit dem Kleinen?«
»Seths Platz ist hier. Er braucht euch. Er steckt momentan in Schwierigkeiten, und er ist darauf angewiesen, daß ihr euch erinnert, wie es war, als ihr in seiner Situation gewesen seid.«
»Wie meinst du das, er steckt in Schwierigkeiten?«
Ray lächelte schwach. »Geh ans Telefon«, schlug er vor, noch bevor es läutete.
Dann war er verschwunden.
»Ich brauche unbedingt mehr Schlaf«, sagte Cam, dann riß er den Hörer von der Gabel. »Jaja.«
»Hallo? Mr. Quinn?«
»Richtig. Hier spricht Cameron Quinn.«
»Mr. Quinn, hier ist Abigail Moorefield, stellvertretende Direktorin der St. Christopher Middle School.«
Cam war plötzlich eiskalt. »Mhm.«
»Hier hat es leider Ärger gegeben. Seth DeLauter sitzt bei mir im Büro.«
»Inwiefern Ärger?«
»Seth hat sich mit einem anderen Schüler geprügelt. Er wurde vom Unterricht ausgeschlossen. Mr. Quinn, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie zu mir ins Büro kommen könnten, damit ich Ihnen alles erklären kann und Sie Seth gleich mit nach Hause nehmen können.«
»Toll. Großartig.« Ratlos fuhr Cam sich mit der Hand durchs Haar. »Bin schon unterwegs.«
Die Schule hatte sich kaum verändert, dachte er, seit er dort seine Zeit abgesessen hatte. Am ersten Schultag hatte Stella Quinn ihn fast gewaltsam durch die massiven Eingangstüren schleifen müssen. Jetzt war er fast achtzehn Jahre älter und seine Einstellung ihr gegenüber hatte sich nicht verändert.
Die Fußböden bestanden aus verschossenem Linoleum, und durch die breiten Fenster fiel helles Licht herein. Es roch nach einer Mischung aus eingeschmuggelten Süßigkeiten und Kinderschweiß.
Cam steckte die Hände in die Taschen und ging zum Verwaltungstrakt. Er kannte den Weg. Schließlich war er während seines Aufenthalts an der St. Chris Middle School unzählige Male dorthin gepilgert.
Im Vorzimmer saß allerdings nicht mehr dieselbe Sekretärin mit dem Adlerblick. Diese war jünger, munterer und lächelte ihn strahlend an. »Kann ich Ihnen behilflich sein?« fragte sie mit lebhafter Stimme.
»Ich bin wegen Seth DeLauter hier.«
Sie blinzelte, und ihr Lächeln wirkte verwirrt. »Wie war das bitte?«
»Cameron Quinn. Ich möchte die stellvertretende Direktorin sprechen.«
»Oh, Sie meinen Mrs. Moorefield. Ja, sie erwartet Sie. Die zweite Tür in dem kleinen Flur da drüben. Auf der rechten Seite.« Ihr Telefon läutete, und sie nahm ab. »Guten Morgen«, trällerte sie, »St. Christopher Middle School. Hier spricht Kathy.«
Cam gelangte zu dem Schluß, daß er dieser unheilbar munteren Neuerwerbung den Drachen vorzog, der zu seiner Zeit die Büros bewacht hatte. Als er auf die Tür zuging, richtete er sich gerade auf, er biß die Zähne zusammen, und seine Handflächen wurden feucht.
Manche Dinge änderten sich wohl nie.
Mrs. Moorefield saß an ihrem Schreibtisch und gab seelenruhig Daten in einen Computer ein. Cam hielt die Art, wie sie ihre Finger bewegte, für äußerst effizient. Und diese Bewegungen paßten zu ihr. Sie war ordentlich und adrett gekleidet, vermutlich Anfang fünfzig. Ihr hellbraunes Haar war kurz geschnitten und glatt, ihr Gesicht beherrscht und auf unaufdringliche Art anziehend. Sie trug einen goldenen Trauring und schlichte muschelförmige Goldohrringe.
Ihr gegenüber saß Seth zusammengesunken auf einem Stuhl und starrte an die Decke. Er gab sich Mühe, gelangweilt auszusehen, wirkte jedoch beleidigt. Der Kleine brauchte einen Haarschnitt, bemerkte Cam und fragte sich, wer sich darum kümmern sollte. Er trug völlig zerfranste Jeans, einen Pullover, der zwei Nummern zu groß war, und unglaublich schmutzige Turnschuhe. Auf Cam wirkte dieser Aufzug völlig normal.
Er klopfte an den Türrahmen. Sowohl die Direktorin als auch Seth blickten auf, beide jedoch mit völlig unterschiedlichen Mienen. Mrs. Moorefield empfing ihn mit einem höflichen Lächeln. Seth grinste höhnisch.
»Mr. Quinn?«
»Ja.« Ihm fiel ein, daß er hier die Rolle des Vormunds zu spielen hatte. »Ich hoffe, wir können die Angelegenheit in Ordnung bringen, Mrs. Moorefield.« Er setzte seinerseits ein höfliches Lächeln auf, als er an ihren Schreibtisch trat und ihr die Hand gab.
»Ich freue mich, daß Sie so
Weitere Kostenlose Bücher