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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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polizeilich gemeldete Fälle von Mißhandlung bedeuten mindestens zwanzig in der Wirklichkeit. Im August hat sie genug. Es geht nicht mehr. Sie flieht, zusammen mit zwei Kolleginnen. Sie ist achtundzwanzig Jahre alt und schrecklich verwüstet. Es gibt zwei Möglichkeiten. Sterben oder das Blatt im Buch des Lebens wenden. Sie wendet das Blatt – doch ohne die Vorderseite zu vergessen. Im Gegenteil, diese bestimmt ihre ganze Zukunft. Sie wird ihre Antriebskraft während des Entzugs und im Training. Ihre beiden früheren Kolleginnen sind die ganze Zeit mit ihr zusammen. Zielbewußt trainieren sie ein gutes Jahr lang. Dann schlägt die Stunde der Rache. Sie verfolgen die Spur ihres alten Quälgeistes Artemij Tolkatjenko, den Zuhälter von Ghiottone aus Odessa. Er ist nach England geschickt worden, wahrscheinlich, um – wie Nikos Vouksos ein Jahr später in Stockholm – Ställe mit Prostituierten zu übernehmen. Sie ermorden ihn. Möglicherweise retten sie schon jetzt weitere Kolleginnen und nehmen sie mit.
    Etwas ist geschehen. Möglichkeiten zeichnen sich ab. Sie erkennen, wieviel Leid es in der Prostitutionsbranche rundum in Europa gibt. Und sie können tatsächlich etwas tun. Sie werden Rachegöttinnen. Erinnyen.
    Warum wählt man aber schon beim ersten Mord die Hinrichtungsmethode aus Weimar? Hat Magda Kouzmin bereits die Verknüpfung zwischen Ghiottone und dem Schmerzzentrum hergestellt?
    Kennt sie Marco di Spinelli schon jetzt?
    Noch etwas anderes muß zwischen der Flucht im August 1997 und dem ersten Mord im März 1999 geschehen sein. Sie hat erfahren, was sich im Schmerzzentrum in Weimar abgespielt hat. Sie übernimmt die Methode. Wie hat sie davon erfahren? Verbindet sie es schon mit dem, was ihrem Vater zugestoßen ist? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich erfährt sie später davon, vielleicht in diesem Jahr. Als sie sich aufmacht, um den falschen Leonard Sheinkman aufzusuchen.
    Wie konnte Magda Kouzmin vor dem März 1999 die Methode kennengelernt haben?
    Es gab nur eine Möglichkeit. Das Forscherteam von Professor Ernst Herschel.
    Herschel hatte Arto Söderstedt eine Liste mitgegeben. Er suchte sie aus seiner Tasche heraus. Was war in Weimar gesagt worden? ›Bis zum Herbst 1998 gab es eine Anzahl freiwilliger Studenten. Unbezahlte Geschichts- und Archäologiestudenten.‹
    Magda beendete ihr Prostituiertendasein im August 1997. Sie kann kaum kurz danach als unbezahlte Geschichts- und Archäologiestudentin agiert haben. Es ist ein chaotischer Zustand. Sie sind vor einer fürchterlichen Mafiaorganisation geflohen und müssen sich versteckt halten. Außerdem müssen sie sich entgiften und über ihre Zukunft entscheiden. Wahrscheinlich ist das nicht möglich vor dem Jahreswechsel 1997/98. Bis zum Herbst 1998 gab es unbezahlte Geschichts- und Archäologiestudenten. Das schränkte die Auswahl auf eine Zeit während, sagen wir, der ersten Hälfte von 1998 ein.
    Söderstedt arbeitete sich durch die Liste. Herschels Notizen zufolge hatten die freiwilligen Studenten zwar keinen Zugang zu wichtigen Informationen, doch das mußte ja zu bewerkstelligen sein. Sie konnte kaum als etablierte Geschichtsforscherin aufgetreten sein.
    Was hatte es in der ersten Jahreshälfte 1998 an Gelegenheitsarbeitern gegeben?
    Sieben Personen hatten im Frühjahr 1998 angefangen und waren verschwunden, als das Gebäude für die glasurmäßige Renovierung geschlossen wurde. Fünf davon waren Frauen. Sie hießen Steffi Prütz, Maryann Rollins, Inka Rothmann, Elena Basedow und Heidi Neumann.
    Arto Söderstedt betrachtete die Namen eine Weile.
    Elena Basedow hatte er ja getroffen. Sie arbeitete immer noch in Herschels sogenanntem Assistententeam. Die patente kleine Frau, die ihn am Hauptbahnhof in Weimar abgeholt hatte.
    ›Herr Söderstadt.‹
    Die konnte er streichen.
    Während er die vier übrigen Namen betrachtete, passierte jedoch etwas. Da war etwas mit den Vornamen. Magda nach der Großmutter. Aber es gab noch eine Großmutter. Jene Frau Kouzmin, die sich des elternlosen Franz Sheinkman in Buchenwald angenommen hatte. Wie hieß sie?
    Elena Kouzmin.
    Arto Söderstedt saß ganz still.
    Elena.
    Er war ihr begegnet.
    Vor nur ein paar Stunden war er ihr begegnet.
    Eine Welle von Eis wogte durch seinen Körper.
    Die Anführerin der Erinnyen hatte ihn in ihrem Wagen gefahren. Einem Volkswagen Vento. In Weimar.
    Elena Basedow war Magda Kouzmin.
    Die Frau, die die Vielfraße mit Nikos Voultsos gefüttert hatte, die Hamid al-Jabiri wie eine

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