Tiefer Schmerz
Leichen herum, schrie die Kotze. Sie brüllte: Ich trample auf ihren Leichen herum, um die Nase über die Scheiße zu kriegen. Ich rieche den Gestank, heulte die Kotze. Sie schrie: Ich rieche den Gestank, und ich blicke hinaus zum Horizont, und ich tue so, als fände ich ihn schön und als röche es nach siebzehn Sorten Basilikum und nicht nach Scheiße und Tod und Leichen.
Dann verwandelte sich das Gefühl, erledigt zu sein, in etwas anderes. Was in ihm hochkam, war nicht mehr die Kotze der Selbstverachtung. Es war nicht mehr das Entsetzen über Onkel Perttis Verwandlung vom Kriegshelden zum Folterer und Mörder. Es war nicht mehr der Ekel darüber, das böse Blut eines Kriegsverbrechers und Nazis in seinem Körper zirkulieren zu fühlen. Es war nicht mehr der Brechreiz darüber, das Raubgold des Kriegsverbrechers auszugeben.
Es war Zorn.
Reiner und glühender Zorn, und er richtete sich gegen eine, eine einzige Person.
Hans von Heilberg alias Marco di Spinelli.
Arto Söderstedt kehrte an seinen Sitz zurück. Eine kurze Turbulenz ließ das Flugzeug erbeben.
Und das Erbeben war in ihm.
Er schaute auf einen Ausdruck, den er sich von einer Zeichnung gemacht hatte. Es war die Zeichnung eines Palastes. Und eine dünne, helle, kurvige Linie schlängelte sich durch die gesamte Konstruktion.
Er würde ihn zur Rede stellen.
So einfach war es.
Er dachte an das Ende seiner letzten Begegnung mit Kommissar Italo Marconi. Es war seltsam gewesen.
Der Kommissar zog seine schlingernde Linie kreuz und quer über die Zeichnung. Es sah aus wie die unsichere Bleistiftlinie eines Kindes durch das Labyrinth in einem Comic-Heft.
Söderstedt hatte gefragt: »Was glauben Sie persönlich, was Marco di Spinelli während des Krieges gemacht hat?«
Marconi hatte den Bleistift hingelegt und seinen nordischen Kollegen fixiert: »Aber das ist doch glasklar«, sagte er. »Er war Nazi.«
Söderstedt fixierte zurück, nickte langsam und sagte:
»Herr des Himmels, Italo. Du willst, daß ich ihn hochnehme.«
»Ich will, daß du herausfindest, wer er eigentlich ist, ja. Es ist möglich, daß du mehr Erfolg hast als ich, Arto, mit neu en Ausgangspunkten und weniger strengen Restriktionen.«
»Das meine ich nicht«, sagte Söderstedt. »Du willst, daß ich mir auf diesem Weg Zugang verschaffe.«
Marconi warf ihm einen schnellen Blick zu, strich sich ebenso schnell über den großen Schnauzbart und sagte, indem er den Finger über die Zeichnung führte: »Rein theoretisch – und jetzt meine ich wirklich rein theoretisch – ist es ein ausgesprochener Einmannjob. Man gelangt durch eine Klappe im Müllraum hinein. Die Klappe führt auf eine Gasse hinterm Palast. Durch diese Klappe wird der Müll einmal die Woche mit einem Vakuumsauger geleert. Die Klappe ist mit einem starken Schloß versehen. Außerdem muß es schnell gehen, und man muß ein ganz spezielles Bewegungsschema befolgen, weil die Überwachungskameras an der gegenüberliegenden Wand sich in einem speziellen Takt bewegen.«
»Das hört sich völlig unüberwindlich an«, sagte Söderstedt.
»Das wäre es«, sagte Marconi, »wenn man nicht mit dem Bewegungsschema und mit dem zeitlichen Rahmen vertraut wäre – und keinen kürzlich kopierten Schlüssel zur Verfügung hätte.«
Ein brauner Umschlag wurde auf den Schreibtisch gelegt. Es klapperte leicht. Söderstedt betrachtete ihn mißtrauisch. »Hast du allen Ernstes die Absicht, einen blauäugigen schwedischen Polizisten kaltblütig den Kopf in den Rachen des Löwen stecken zu lassen?«
»Das waren viele Klischees in ein und demselben Satz«, sagte Italo Marconi mit einem schwachen, mit Mühe und Not erkennbaren Lächeln.
»Mach weiter«, sagte Arto Söderstedt, ohne eine Miene zu verziehen.
»Im Innern des Müllraums wird es leichter. Man ist jedenfalls die Überwachungskameras los. Von drei Stellen des Palastes aus führen breite Schächte hier hinein, durch die der Müll in den Müllcontainer poltert.«
»Laß mich mal sehen, ob ich verstehe, rein theoretisch also. Dieser Müllcontainer ist also ganz geschlossen?«
»Richtig. Er hat einen Deckel mit vier Rohren. Das Absaugrohr führt zur Gasse auf der Rückseite; dadurch gelangt man hinein. Dann ist man im Müllcontainer.«
»In einem geschlossenen, stinkenden pechschwarzen Müllcontainer.«
»Am Gestank und an der Abgeschlossenheit kann man leider nichts ändern. Aber dem Problem der Dunkelheit kann man mit einer Taschenlampe beikommen. Wenn man also in den Container
Weitere Kostenlose Bücher