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Tiefer Schmerz

Tiefer Schmerz

Titel: Tiefer Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Knick, die Füße gegen die senkrechte Schachtwand gepreßt, und hielt die Tüte über den Abgrund.
    Konnte er es wagen, sie fallen zu lassen? Wenn es zu hören war, konnte die Verzögerung um mehrere Minuten natürlich Aufmerksamkeit erregen. Anderseits befand er sich ziemlich tief unten im Mauerwerk.
    Er ließ sie fallen. Sie machte auf ihrem Weg zum Container nicht viel Aufhebens von sich.
    Dann leuchtete er nach oben. Wieder eine Schräge, diesmal so um die siebzig Grad. Vielleicht sechs Meter über sich erkannte er die Innenseite der Mülleinwurfklappe. Vor nur ein paar Minuten war diese Klappe geöffnet worden. Würde sie ein weiteres Mal geöffnet, so würde er mit großer Wahrscheinlichkeit entdeckt, würde erschossen werden und wie jeder andere Müll in den Container fallen.
    Vielleicht hatte man inzwischen eine weitere Mülltüte gefüllt.
    Anderseits gab es keine richtige Umkehrmöglichkeit.
    Er drückte sich aufwärts, Zentimeter um Zentimeter. Die Ellenbogen des dicken Pullovers begannen durchzuscheuern. Er spürte, wie die rauhe Oberfläche der Schachtwand sich gierig in immer mehr nackte Haut preßte.
    Er war jetzt so weit oben, daß er die Luke betrachten konnte, ohne Genickstarre zu bekommen. Er öffnete den Klettverschluß der Tasche mit der Pistole. Wie schnell er sie wohl würde ziehen können, fragte er sich. Ohne den Halt zu verlieren und hilflos in den Schacht hinabzustürzen.
    Zentimeter um Zentimeter, Millimeter um Millimeter, näher, näher, näher. Die Haut an seinen Ellenbogen war aufgerissen. Er fühlte, wie das Blut herausgepreßt wurde. Und dennoch machte er weiter, Zentimeter um Zentimeter, Millimeter um Millimeter, bis er an der Klappe angekommen war.
    Er legte vorsichtig die Fingerspitzen an die Metalloberfläche, zog einen Schraubenschlüssel aus einer weiteren Tasche und setzte ihn mit so viel Feinmotorik, wie er überhaupt aufzubieten vermochte, im Innern des Handgriffmechanismus fest. Seine Hände zitterten kräftig. Für einige Sekunden schepperte es schwach zwischen dem Schraubenschlüssel und dem Handgriff. Dann saß er, wie er sitzen sollte.
    Er holte tief Luft und hielt den Schlüssel ganz, ganz still.
    Dann drehte er ihn langsam gegen den Uhrzeigersinn.
    Während er drehte, dachte er an Konsequenzen. Vor einer Viertelstunde war jemand in der Pantry gewesen und hatte Müll in den Schacht geworfen. Was sagte ihm, daß dieser Jemand nicht noch im Raum war? Es war zwar kein Laut von dort zu hören, aber es reichte ja, wenn di Spinelli im Liebesnest war, also im Raum nebenan. Es war nicht sein gewöhnliches Schlafzimmer, aber er hatte dort häufig eine Prostituierte über Nacht. Vielleicht hatten sie Hummer gegessen und Champagner getrunken. Er war dankbar dafür, daß er nicht die Champagnerflasche auf den Kopf bekommen hatte.
    Die Sorge wäre nicht nötig gewesen.
    Er öffnete die Luke einen winzigen Spalt weit. Er sah die Umrisse eines Herds mit Kochplatten. Sonst nichts.
    Plötzlich wurde die Luke aufgerissen, und er hatte den Lauf eines großkalibrigen Schießeisens im Mund stecken. Das Licht in der Pantry wurde eingeschaltet und stach in seine ans Dunkel gewöhnten Augen. Er wurde unsanft aus dem Schacht hochgerissen und auf den Boden geworfen.
    »Neues Parfüm?« fragte Marco di Spinelli.
    Dann erhielt Söderstedt einen Tritt in den Bauch, wurde an den Haaren hochgezogen und auf einen Stuhl gestoßen. Die drei Gorillas standen in einem Ring um ihn herum. Einer von ihnen stieß ihm wieder sein großkalibriges Schießeisen in den Mund. Er dachte: Damals, in dem Restaurant am Piazzale Michelangelo in Florenz, ganz genau da, als das Handy klingelte, da war alles möglich. Damals, genau da, als der Wein eingeschenkt war und er am Tisch saß und die Frühlingswinde genoß und Florenz wie ein von Menschen geschaffenes Paradies vor ihm lag, genau damals wäre es möglich gewesen, den Anruf auf dem Handy nicht anzunehmen.
    Dann wäre dem Paradies intakt geblieben.
    Ein bißchen langweilig vielleicht, aber paradiesisch langweilig.
    Die Pistole wurde aus dem Mund gezogen.
    An der Wand hinter den Gorillas stand Marco di Spinelli mit geradem Rücken. Zweiundneunzig Jahre alt und überzeugt von der Überlegenheit seiner Gene. »War das nicht spaßig mit der Mülltüte?« sagte er und fuhr mit gerümpfter Nase fort: »Sie riechen wahrlich nicht gut, Signor Sadestatt.«
    Einer der Gorillas konfiszierte Söderstedts kleine Pistole und reichte sie di Spinelli hinüber, der sie interessiert

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