Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
meinen Koffer holen.«
Jung drehte sich ab und machte sich in der weiten Halle auf die Suche nach der Autovermietung. Er hatte keine Mühe. Während er die Formalitäten abwickelte und das Auto auf dem Stellplatz vor der Ankunftshalle suchen ging, nutzte er die Zeit, um sich zu entspannen.
Als er den Mietwagen gefunden hatte, hielt er inne und holte tief Luft. Es war angenehm warm. Die Sonne stand an einem blauen Himmel und schien auf Stechpalmen und üppige Blumenrabatten. Jung hatte solche Blumen noch nie vorher gesehen. Ihre fleischigen Blätter wirkten exotisch und ihre Blüten strahlten in leuchtenden Bonbonfarben. Dazwischen wuchsen andere, deren orangefarbene, schnabelartige Blüten ihm bekannt vorkamen, an deren Namen er sich aber nicht erinnerte. Für einen Moment überkam ihn ein Hauch des Urlaubsgefühls, das er sich erst vor wenigen Tagen zurechtfantasiert hatte, als er – aus dem Fenster seines Arbeitszimmers starrend – von der grauen Trübsinnigkeit Nordfrieslands angefallen worden war.
Er öffnete die Wagentür und setzte sich hinter das Steuer. Es war ein Peugeot, ausreichend für zwei Erwachsene mit Gepäck. Er fuhr in die Haltebucht vor dem Arrival. Svenja hatte die Reisetasche an den Bordstein geschleppt und wartete. Ihre Haare glänzten in der Sonne.
Sie sah wirklich gut aus, dachte Jung versonnen, groß und schlank. Ihre äußerliche Attraktivität lenkte davon ab, wie enervierend intelligent sie war. Die Frisur ihrer Haare hob ihre hübsche Kopfform hervor. Eine extravagante Strenesse-Sonnenbrille umgab sie mit einer Aura mondäner Unnahbarkeit, die eigentlich gar nicht zu ihr passte. Zu dreiviertellangen, hellen Sommerhosen und flachen Sportschuhen trug sie eine weiße, langärmelige Bluse, darüber einen kurzärmeligen, hellgrauen Sommerpullover. Ihren klassischen, dunklen Blazer hatte sie sich etwas zu lässig über die Schultern geworfen. Ihre Lieblingstasche von Furla umarmte sie wie einen Schatz, den sie fürchtete zu verlieren. Svenja war voller Bewunderung für den perfekten Zuschnitt der Tasche und die schlichte Eleganz des glatten, dunklen Leders. Dazu war sie auch noch praktisch und im Alltag überaus nützlich, wie sie oft betonte. Ihr Anblick ließ Jung lächeln.
»Was machen wir denn jetzt?«, fragte sie hilflos, nachdem Jung das Gepäck verstaut und sie im Wagen Platz genommen hatten.
»Wir fahren jetzt in unser Ferienhaus, was denn sonst?«, erwiderte Jung gut gelaunt.
»Wie weit ist das denn?«
»Rund 50 Kilometer Luftlinie, auf der Straße einige Kilometer mehr.«
»Was? Und wenn nun der Koffer auftaucht?«
»Dann ruft sie uns an. Dazu müssen wir erst einmal da sein, okay?«
Jung merkte, dass seine Logik sie entsetzlich nervte.
»Weiß der Nachbar denn Bescheid?«, quengelte sie.
»Ich habe ihm unsere Ankunftszeit mitgeteilt. Er hat die Schlüssel.«
Svenja schwieg. Jung startete den Motor und fuhr los. Er hatte zu Hause die Straßenkarte studiert und beschlossen, nicht die Autobahn, sondern die Küstenstraße über Albufeira, Ferreiras und Porches nach Lagoa zu nehmen. Er kannte die Abneigung Svenjas gegen Schnellstraßen und Autobahnen. Außerdem glaubte er, so einen ersten Eindruck von Land und Leuten zu gewinnen.
Seine Überlegungen erwiesen sich als richtig, führten aber nicht zu dem gewünschten Urlaubseffekt.
An die portugiesischen Autofahrer musste er sich gewöhnen, was ihm Mühe bereitete und viel Konzentration abforderte. Unzählige Kreisel und eine aus den Fugen geratene Beschilderung kosteten ihn auch den letzten Rest an Reserven. Er fluchte. Um sich zu orientieren, hätte er besser daran getan, sich nach dem Sonnenstand zu richten. Für das hin und wieder in der Ferne glitzernde Meer hatte er keinen Blick. Auch links und rechts der Straße war nichts zu sehen, was ihn aufgeheitert hätte. Die üppige Vegetation zur Frühlingszeit verlor sich zwischen Tankstellen, Gebrauchtwagenhändlern, Kaufläden, Werkstätten, Souvenirbuden, Baustellen, Töpfereien, Schnellrestaurants und allen nur erdenklichen Grässlichkeiten einer schnellen Touristikindustrie. Jung hatte den Eindruck, als führe er durch eine nie enden wollende, schmuddelige Ortsdurchfahrt im wilden Westen. Zu allem Überfluss schalteten die Fußgängerampeln auch ohne wartende Fußgänger auf Rot.
Svenja mäkelte herum, warum es nicht schneller voranginge. »Wenn das so weitergeht, bin ich morgen weg. Das ist mein bitterer Ernst.«
»Dein Koffer wird schon noch auftauchen. Ich trau
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