Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
Er müsste den Ratgeber schon selbst schreiben. Darüber verfiel er ins Grübeln.
Bis sie in der engen Sitzreihe des Charterfliegers Platz genommen hatten, war kein weiteres Wort mehr zwischen ihnen gefallen. Jung dachte mit Wehmut an seinen letzten Lufthansa-Linienflug von Hamburg nach Wien anlässlich eines Meetings bei Interpol. Wie viel Beinfreiheit und Ruhe hatte er da genießen dürfen, obwohl er als Beamter auf Dienstreisen auch nichts Besseres als die Schweineklasse beanspruchen durfte. Jung fühlte sich unbehaglich.
Die dritte Passagierin in ihrer Reihe entlastete Jung schließlich. Sie kam als Letzte, kurz bevor die Gangway vom Flugzeug getrennt wurde. Jung roch sie, bevor er sie sah. Ihre hohe Stimme vibrierte, als sie darum bat, zu ihrem Platz am Fenster durchgelassen zu werden. Jung schnallte sich ab und trat in den Gang. Svenja blieb sitzen, drehte die Knie beiseite und machte sich dünn. Die Frau stolperte dennoch über Svenjas Füße, fiel vornüber und hätte sich fast den Kopf an der Kabinenwand aufgeschlagen. Der Beinah-Unfall brachte die Frauen ins Gespräch und sie versanken darin. Jung atmete auf.
Bald danach reichten die Flugbegleiter die Angebotslisten des Duty-Free-Shops durch die Reihen. Svenja blätterte darin herum. Flower Bomb konnte sie nirgends finden. Jedoch fand sie einen willkommenen Einstieg, ihrer Nachbarin von ihren Missgeschicken am Boden zu erzählen. Sie hatte eine kongeniale Zuhörerin gefunden, die eine Menge zur Sache beizutragen hatte. So verging die Zeit wie im Flug. Sogar die gefrierschrankkalten Schinkenbaguettes, die die Flugbegleiterinnen austeilten, als servierten sie ein Drei-Sterne-Menü, rissen die Frauen nicht aus ihrem Gespräch. Nach dem ersten Bissen hatte Jung keinen Appetit mehr. Bis der Flieger in Faro gelandet war, sinnierte er über die Esskultur an Bord von Charterfliegern.
Auf dem Weg zum Baggage-claim dackelte Jung hinter den Frauen her, als sei er ihr Bodyguard. Er gestand sich ein, dass ihn nichts zu diesem Job befähigte, schon gar nicht seine körperliche Ausstattung. Am Band angekommen, brauchte er nicht lange zu warten, bis seine Reisetasche vor ihm auftauchte und er sie vom Band greifen konnte.
Die Frauen verabschiedeten sich voneinander mit einer Vertrautheit, als kannten sie sich schon von Kindesbeinen an. Jetzt fehlte nur noch Svenjas Schalenkoffer. Er war eigentlich nicht zu übersehen. Das orangene Monstrum war aber auch dann noch nicht in Sicht gekommen, als das letzte Gepäckstück vom Band gezogen worden war.
»Was ist denn los? Wo ist mein Koffer?«, fragte Svenja alarmiert.
»Vielleicht kommt er ja noch«, versuchte Jung sie zu beruhigen.
Er kam nicht. Svenja kontrollierte das Band-Display auf die Richtigkeit der angezeigten Flugdaten. Jung wagte nicht, sie darauf aufmerksam zu machen, dass eines ihrer Gepäckstücke bereits vor ihnen auf dem Boden stand.
»Und jetzt? Ohne den Koffer können wir gleich wieder kehrtmachen. Keinen Tag bleibe ich ohne meinen Koffer.« Svenja sah ihren Mann panisch an.
»Ich gehe zum Flugschalter und frage, was wir tun können.«
»Ich komm mit, warte!«, rief Svenja erregt.
Die junge Frau am Flugschalter war von ausgesuchter Höflichkeit. Sie verwies sie an den Handlingsagent des Flughafens. Der Handlingsagent entpuppte sich ebenfalls als eine smarte Sie mit der gleichen, standardisierten Höflichkeit, die auch ihre Kollegin am Schalter auszeichnete. Sie nahm ihre Flugdaten und die Ferienadresse auf und fragte, wie sie telefonisch zu erreichen seien. Jung wollte ihr seine Handynummer geben, die sie aber mit Bedauern zurückwies. Aus Mangel an einer Festnetznummer nannte er die Telefonnummer seines Nachbarn, des Deutsch-Portugiesen. Sie versprach, sich um den Verbleib des Koffers zu kümmern und sich zu melden, wenn sie Genaueres wüsste.
»Und wann wird das sein?«, fragte Svenja aufgebracht.
»Sorry ma’m, that’s not sure. But you can be assured that I’ll do everything I can. Please, trust me.« Sie lächelte sie an.
»Was kann denn passiert sein?«
»There are many reasons why. Unfortunately it’s not a rare event, ma’m. If I have any information, I give you a call, okay?«
Die Frau musste öfter mit Deutschen zu tun gehabt haben, die ihr Gepäck suchten, sonst hätte sie die Fragen nicht so glatt verstehen und beantworten können.
»Und nun?«, fragte Svenja genervt.
»Ich hole das Auto, das ich bestellt habe«, erwiderte Jung lakonisch.
»Es wäre mir lieber, du könntest
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