Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
Tiny stöhnte und schüttelte den Kopf. »Aber Pelle war anders. Er hatte die rote Karte und flog öfter bei mir mit.«
»Rote Karte? Was ist das?«
»Die Lizenz zum Mitfliegen. Auf den Trainingsjets und den Alfas hatten wir zwei Sitze.«
Tiny machte eine kurze Pause und schüttelte gedankenverloren den Kopf. »Er ist sogar mit unserem SAR-Hubi in Faro gelandet. Wie er das geschafft hat, weiß ich bis heute nicht.«
»Warum?«, fragte Jung naiv.
»Weil Faro zivil ist. Da haben wir Militärs nichts zu suchen, verstehst du?«
»Nee.«
»Soldaten sind nun mal Aussätzige. Nur, wenn die Zivis in der Scheiße stecken, sind wir gern gesehen.«
Ihr Gespräch brach ab. Sie waren flott vorangekommen. Tiny bog in die Zufahrt zum Flughafen ein und fuhr zielsicher die Auffahrt hinauf vor die Abfertigungshalle.
»Bleib hier. Lass mich das machen. Bin gleich wieder da.« Tiny war ausgestiegen, bevor Jung sich bewegen konnte.
Jung wollte ihn nicht zurückhalten. Er war erleichtert, ja, sogar dankbar, dass Tiny den Koffer übernahm. Tiny kannte die Leute hier und sprach mit Sicherheit gut Englisch, von Portugiesisch ganz zu schweigen. Die Aussicht, eventuell in eine längere Diskussion verwickelt zu werden, stimmte Jung nicht fröhlicher.
Er sah durch die Windschutzscheibe, wie ein Polizist Tiny den Zutritt zur Abfertigung verwehrte. Jung vermochte nicht zu erkennen, was er von ihm wollte. Aber er sah Tiny heftig gestikulieren. Seine Gebärden erinnerten Jung an italienische Fußballer, die das Unschuldslamm gaben, nachdem sie das Spielfeld mit Blutgrätschen und Tritten in die Hacken ihrer Gegner in einen Kriegsschauplatz verwandelt hatten. Jung musste lachen. Endlich ließ der Polizeibeamte von Tiny ab. Tiny verschwand in der Halle und tauchte nach einiger Zeit mit dem Koffer wieder auf. Jung frohlockte und war dankbar. Tiny schwenkte den Koffer in Richtung des Polizisten und zeigte mit dem Finger darauf. Dann winkte er ihm grüßend zu und kam zu Jung an den Wagen.
»Rück mal ’n Stück nach vorn. Ich will den Koffer hinter den Sitz stellen.«
»Warum legst du ihn nicht in den Kofferraum?«
»Geht nicht. Da passt nichts mehr rein.«
»Bist du etwa Fuhrunternehmer?«
»So was Ähnliches.«
Tiny nahm hinter dem Steuer Platz und startete den Motor.
»Was wollte der Polizist von dir?«
»Ich habe ’ne deutsche Zeitung mitgebracht. Lies mal, dann weißt du, warum!«
Er fasste in seine Jacke, holte die BILD-Zeitung heraus und reichte sie Jung hinüber. Der Aufmacher der Titelseite beschäftigte sich in dicken Schlagzeilen mit der Kindesentführung an der Algarve. Tiny fädelte sich behände in den abfließenden Verkehr in Richtung Albufeira ein.
»Sie überwachen alle Flughäfen und die Grenzübergänge. Ich musste den Bullen überzeugen, dass ich nur deinen Koffer abholen wollte. Andernfalls hätte er mich genauer überprüfen müssen.« Tiny grinste zufrieden.
Jung las die fetten Titelzeilen und bemerkte in sich gekehrt: »Reichlich spät. Jetzt werden sie keinen mehr fangen.«
»Was bist du eigentlich von Beruf, Tomi?«, fragte Tiny vorsichtig.
Jung wollte seinen Beruf nicht nennen. Es würde schwer werden, davon Urlaub zu nehmen, wenn er sein Geheimnis erst einmal preisgegeben hatte. Das wusste er aus langjähriger Erfahrung. Deswegen log er halbherzig: »Ich bin Beamter.«
»Was für’n Beamter? Doch nicht etwa bei der Bahn oder der Post?«
»Die sind inzwischen privatisiert. Da gibt’s keine Beamten mehr.« Jung schwieg und glaubte, das Thema sei erledigt.
»Wo nun Beamter, Tomi?«, insistierte Tiny.
»Beim Innenminister.«
»Welcher Innenminister? Nun lass dir doch nicht die Würmer einzeln aus der Nase ziehen. Bist du bei der Stasi oder was?«
»Gott bewahre, nein, überhaupt nicht. Das ist nicht so einfach zu beschreiben. Eigentlich kümmere ich mich darum, dass wir Gesetze und Vorschriften einhalten. Wenn nicht, bemühe ich mich, dass wir es wenigstens in Zukunft tun.«
»Also doch Polizist. Du bist mir ja ein rechter Schlaumeier, mein Lieber«, lachte Tiny verhalten.
»Nein.« Jung wand sich gequält. »Eine gewisse …«
»Hör schon auf. Ich weiß Bescheid. So was gibt’s beim Militär auch. So ’ne Art Wehrbeauftragter, nicht wahr?«
»Genau. So ähnlich, aber doch ganz anders.«
»Geheimer?«
»Keiner will das an die große Glocke hängen, Tiny. Vor allen Dingen ich selbst nicht. Ich habe jetzt Urlaub, verstehst du?«
»Okay, okay. Wenn man immer Urlaub hat, dann vergisst man
Weitere Kostenlose Bücher