Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
Lobeshymne ein.
»Köstlich, wirklich. Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann.«
»Das freut mich«, erwiderte sie schlicht.
Jungs Seele öffnete sich. Die Gesellschaft Amalias, der Fisch, dessen feiner Geschmack sich zusammen mit dem leichten, herben Weißwein ganz wunderbar entfaltete, der Blick auf die Felsküste, den Strand und den Atlantik, der angenehme Schatten unter den Sonnensegeln, alles zusammen lullte ihn ein und entführte ihn in einen wohligen Ausnahmezustand.
»Meine Schwester meint das übrigens auch. Die Eltern sind die wahren Übeltäter«, brachte Amalia das Gespräch abrupt zurück auf das Thema. Jung brauchte einen Moment, um sich wieder auf sie einzustellen.
»Ja? Warum?«
»Sie kümmern sich nicht genug um die Kleine. Das sagt meine Schwester, und die muss es wissen.«
Jung erinnerte sich an Maria und ihre Meinung über Engländer.
»Rosas Mutter behauptet das von allen Engländern. In Portugal sei es unvorstellbar, ein Kind allein zu lassen.«
»Bei uns begleiten die Kinder ihre Eltern. Warum sollte das ein Problem sein?«, bemerkte Amalia entrüstet.
»Weil Eltern vielleicht mal allein sein wollen«, gab Jung zu bedenken.
Sie aßen für eine Weile schweigend ihren Fisch.
»Deswegen sollte man aber seine Kinder nicht vernachlässigen und schon gar nicht ruhigstellen«, nahm Amalia das Gespräch wieder auf.
»Wieso das? Was meinen Sie mit ruhigstellen?«
»Meine Schwester empfindet das so. Die Eltern schieben die Kleine ab, wenn sie nicht sogar noch Schlimmeres mit ihr anstellen.«
»Was soll das heißen? Was wollen Sie andeuten, Amalia?«
»Meine Schwester hatte den Eindruck, dass die Eltern sonst was machen würden, nur um Ruhe vor ihr zu haben.« Ein ungewohnter Ernst hatte von Amalia Besitz ergriffen. Jung sah ihr an, dass sie an dieser Stelle Gefühle hegte, die er vorhin, an anderer Stelle, vermisst hatte.
»Das ist ein schweres Geschütz, das Ihre Schwester da auffährt«, meinte Jung zweifelnd.
»Ich glaube meiner Schwester. Sie ist wirklich nicht zynisch oder missgünstig veranlagt. Aber sie meint, wo viel Geld ist, sind auch die Möglichkeiten zur Bequemlichkeit groß.« Amalia hatte ihre Mahlzeit beendet und legte ihr Besteck abschließend auf den Teller.
»Wo viel Geld ist, ist vielleicht viel Arbeit und viel Müdigkeit. Übrigens auch da, wo wenig Geld ist«, fiel Jung dazu ein. Er legte sein Besteck ebenfalls auf den Teller und wischte sich mit der Serviette den Mund ab.
»Glauben Sie das ernsthaft, Herr Jung?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist die Arbeit der Reichen anders als die normaler Menschen.«
»Das muss aber eine merkwürdige Arbeit sein, dass sie darüber ihre Kinder vernachlässigen.«
Jung hatte darauf keine schnelle Antwort. Amalias Ernst gab genug Anlass zum Nachdenken. Ihm kam Tiny in den Sinn und das, was er ihm von seinem Eheleben erzählt hatte. Er wollte den Abend an Amalias Seite genießen, ohne darüber diskutieren zu müssen, ob Reichtum ein Fluch oder ein Segen war.
»Ich gebe Ihnen recht. Es gibt keinen vernünftigen Grund, seine Kinder zu vernachlässigen. Wenn es dennoch passiert, gibt es nur unvernünftige Gründe.«
»Wie so oft im Leben«, räsonierte Amalia melancholisch.
Jung lachte lautlos, als ihm die Plattheit seiner Bemerkung bewusst wurde. Der ungewohnte Ernst und Amalias Melancholie erstaunten ihn. Jung wollte das Thema beenden und fragte: »Was möchten Sie zum Nachtisch, Amalia?«
»Ich verzichte heute lieber auf Nachtisch. Ein Kaffee wäre zum Abschluss schön.«
»Gut, dann nehmen wir Bica und Maceira, okay?«
»Für mich nur Bica. Sie wissen ja, warum.«
Jung winkte dem Kellner und bestellte.
»Trinken Sie niemals Alkohol?«, erkundigte er sich beiläufig.
»Oh, doch. Einen Maceira nach dem Essen, das ist schon sehr gesund.«
»Und Wein? Ich frage, weil ich Weinliebhaber bin. Für mich ist ein Essen ohne Wein kein Essen.«
Amalia lachte und sah ihn amüsiert an.
»Für mich gilt eher, dass Weintrinker gut aussehen, intelligent, sexy und gesund sind.«
Jung durchzuckte es bei dieser koketten Bemerkung, die er sofort auf sich bezog, und er fühlte eine zugleich wohlige als auch unangenehme Wärme in sich aufsteigen, alles nur im Bruchteil einer Sekunde. Er versuchte, seine Verlegenheit zu verbergen, und war froh, als der Kellner an den Tisch kam und servierte, was sie bestellt hatten.
»Der Spruch stammt übrigens nicht von mir«, beeilte sich Amalia hinzuzufügen.
Jungs Verlegenheit
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