Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
bringen, sich schützen zu wollen, wenn schon ihr Sinn für Ästhetik und Benehmen nicht ausreichte, ihre Umgebung vor dem Anblick ihrer schlechten Lebensgewohnheiten zu bewahren.
*
»Hallo, da bin ich«, brachte ihn Amalia zurück in die Gegenwart. Sie war hinter ihn getreten, ohne dass er ihr Kommen gehört hatte. Sie streifte das auffällige Krokodil die paar Tische weiter mit den Augen und spitzte mokant die hübschen Lippen.
Jung fühlte sich zu der rhetorischen Frage ermutigt: »Senhora Amalia, können Sie mir mal sagen, warum das Krokodil da oben auf seinem Rücken so unanständig groß sein muss?«
»Weil sein Krokodil da unten so unanständig klein ist«, entgegnete sie unschuldig.
Jung prustete los, als wenn ein Knoten in ihm geplatzt sei. Er konnte sich vor Lachen nicht halten. Das Krokodil drehte sich um und starrte sie böse an.
»Wir können los. Mein Auto steht vorn, auf dem Parkplatz«, lenkte Amalia lachend ab.
»Danke.« Jung leerte sein Glas und erhob sich. Sie gingen schmunzelnd nebeneinander her. Jung registrierte an sich einen befremdlichen Stolz, zu einer so schönen, schlagfertigen Frau ins Auto steigen zu dürfen. Er schalt sich einen Narren, beschwichtigte sich aber mit der Einrede, dass er Urlaub habe und das Recht, sich ein wenig gehenlassen zu dürfen. Er gab sich ohne weitere Einwände dem wohligen Gefühl einfach hin.
Amalia fuhr einen quittegelben, PS-starken BMW-Morris-Mini-Cooper. Sie hatte einen Fahrstil, der für Jung zuträglicher war als derjenige Rosas. Ihn befielen keine Angstzustände, und seine Nerven wurden nicht über das Maß hinaus strapaziert, das auch zu ertragen gewesen wäre, wenn er selbst am Steuer gesessen hätte.
Amalia fuhr nicht auf die Autobahn. Sie steuerte geschickt durch ein Gewirr von Straßen und Kreiseln. Jung hatte niemals das Gefühl, einen Ort oder ein Dorf zu verlassen und in einen neuen Ort hineinzufahren. Und die Beweggründe, Fußgängerampeln an Stellen zu platzieren, an denen Fußgänger nicht zu erwarten waren, blieben ihm auch jetzt noch unerfindlich. Amalia schien das nicht zu kümmern. Sie passierte die Ampeln, egal ob bei Rot oder Grün. Ihre Ignoranz schien endgültig und für alle Zeiten unverrückbar.
Schließlich bogen sie an einer regulären Ampel links ab an die Küste. Sie passierten zwei riesige Billboards, auf denen die überlebensgroßen Porträts einer Lucrezia und einer Amalia für den Erwerb von Immobilien in Olhos D’agua warben.
»Haben Sie einen Zweitjob im Immobilienbusiness, Amalia?«, fragte Jung beiläufig.
»Nein«, lachte sie und fuhr ohne weiteren Kommentar an riesigen Hotelkomplexen vorbei eine schmale, kurvige Straße in den kleinen Ort hinunter. Die Straße folgte einem engen Tal und endete in einer Bucht, die sich wie ein flacher Trichter, der in die felsige Küste geschlagen war, zum Meer öffnete. Sie hielten auf einem Platz, der gegen den Strand und das Meer von einer Promenade mit niedriger Mauer geschützt war. Rechts und links waren die steilen Hänge bebaut von einfachen Wohnhäusern, Restaurants, Läden und Appartementhäusern. Die Bebauung war kleinräumig und zurückhaltend, sodass der Ort eine gewisse Intimität bewahrt hatte, die trotz der Modernität und dem unbezweifelbaren Touristenzuschnitt sympathisch wirkte.
Amalia führte ihn an den rechten Hang, ein paar Stufen hinauf auf ein schmales Plateau, das steil zur See abfiel. Es diente einem Restaurant als Terrasse. Das Restaurant hieß La Cigale und klebte in dem felsigen Ufer wie ein malerisches Schmugglernest. Es musste Ebbe herrschen. Jung sah, wie die Wellen zwischen den Felsen auf glatten, feuchten Sandinseln ausliefen.
Sie ließen sich an einem Tisch am Klippenrand nieder. Amalia nahm die Sonnenbrille von den Augen und legte sie neben sich auf den Tisch. Jung registrierte erleichtert, dass sie die Brille nicht zurück auf ihre schwarzen Locken schob, eine Angewohnheit, die er an hochgradig profilneurotischen, sogenannten Powerfrauen verachten gelernt hatte und die ihm üblicherweise Schauer über den Rücken jagte. Unter elegant geschwungenen, dunklen Augenbrauen sahen ihn ihre großen, braunen Augen an, als wollten sie fragen, wie es ihm hier gefiele und ob der Platz recht gewählt sei.
»Und hier gibt es keine Möwen, die mir den Fisch vom Teller stibitzen?«, fragte Jung freundlich.
»Nein«, schmunzelte Amalia. »Die Sonnensegel. Haben Sie die nicht bemerkt?«
Jung musste zugeben, dass sein Blick in erster Linie
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