Tiefsee
bewenden.«
11
Oscar Lucas starrte niedergeschlagen auf seine Schreibtischplatte. Alles deprimierte ihn: der säuerlich schmeckende kalte Kaffee in der Tasse, sein billig eingerichtetes Amtszimmer, sein endloser Arbeitstag. Zum erstenmal, seit er als Geheimagent die Sonderabteilung des Präsidenten leitete, stellte er fest, daß er sich nach seiner Pensionierung sehnte, nach Tourenskilauf in Colorado, nach einem Ruhesitz in den Bergen, den er sich mit eigenen Händen bauen wollte.
Er schüttelte den Kopf, um seine Wunschträume zu vertreiben, schlürfte an einem alkoholfreien Diätgetränk und studierte zum zehntenmal die Pläne der Präsidentenjacht.
Die
Eagle
war 1919 für einen reichen Geschäftsmann aus Philadelphia gebaut und 1921 vom Handelsministerium zum persönlichen Gebrauch des Präsidenten angekauft worden. Seit damals hatten dreizehn Präsidenten ihre Decks abgeschritten.
Herbert Hoover warf Medizinbälle, während er an Bord war, Roosevelt mixte Martinis und beriet sich mit Winston Churchill über Kriegsstrategien, Harry Truman spielte Poker und Klavier, John F. Kennedy feierte seine Geburtstage, Lyndon B. Johnson bewirtete die Königliche Familie und Richard Nixon spielte den Gastgeber für Leonid Breschnew. Die mahagonigetäfelte Jacht mit dem alten, geraden Bug hatte 100 Tonnen Wasserverdrängung und war bei einer Breite von 6 Metern 33 Meter lang. Ihr Tiefgang betrug anderthalb Meter, und sie erreichte im Wasser eine Geschwindigkeit von 14 Knoten.
Die
Eagle
war ursprünglich mit fünf Hauptkabinen, vier Badezimmern und einem großen, verglasten Deckhaus gebaut worden, das als Speise- und Wohnzimmer verwendet werden konnte. Eine Besatzung von 13 Mann wurde von der Küstenwache während einer Kreuzfahrt für die Jacht gestellt, deren Quartiere sowie die Kombüse sich im Vorderteil befanden.
Lucas sah die Personalakten der Besatzung durch, überprüfte noch einmal ihre privaten Lebensumstände, Familiengeschichte, persönlichen Charakterzüge, die Ergebnisse psychologischer Tests. Er konnte nichts finden, das einen Verdacht gerechtfertigt hätte.
Er lehnte sich zurück und gähnte. Nach seiner Uhr war es 9 Uhr 20 abends. Die
Eagle
hatte vor drei Stunden in Mount Vernon angelegt. Der Präsident war ein Abendmensch und Spätaufsteher. Also würde er nach Lucas’ Erfahrungen seine Gäste sehr lange im Deckhaus festhalten, mit ihnen Regierungsprobleme besprechen und kaum daran denken, schlafen zu gehen.
Er drehte sich zur Seite und blickte aus dem Fenster.
Einfallender Nebel kam ihm wie gerufen. Die schlechte Sicht verringerte die Chancen eines Scharfschützen, der größten Gefahr für das Leben des Präsidenten. Lucas redete sich ein, daß er Gespenster sah. Jede erdenkliche Schutzmaßnahme war getroffen worden.
Wenn es eine Bedrohung gab, so mußte sie von einer ihm unbekannten Quelle ausgehen.
Der Nebel hatte Mount Vernon noch nicht erreicht. Noch war die Sommernacht klar, und die Lichter der Straßenbeleuchtung und der nahegelegenen Farmen tanzten auf den Wellen. An dieser Stelle verbreitete sich der Fluß auf etwas mehr als anderthalb Kilometer, Bäume und Sträucher umsäumten seine ausladenden Ufer. Hundert Meter vom Ufer entfernt lag ein Kutter der Küstenwache vor Anker, sein Bug zeigte stromaufwärts, die Radarantenne rotierte fortwährend.
Der Präsident saß auf dem Vorderdeck in einem Klubsessel und versuchte ernsthaft, Marcus Larimer und Alan Moran sein Hilfsprogramm für Osteuropa schmackhaft zu machen.
Plötzlich erhob er sich, trat an die Reling und lauschte mit schräg gelegtem Kopf. Eine kleine Kuhherde muhte auf einer nahen Weide. Er wurde für einen Augenblick davon gefesselt, die Probleme der Nation traten zurück, und seine Jugend auf dem Land kam ihm in den Sinn.
Nach einigen Sekunden drehte er sich um und setzte sich wieder hin.
»Entschuldigen Sie die Unterbrechung«, sagte er mit breitem Lächeln. »Ich war da eine Minute in Versuchung, einen Eimer zu nehmen und uns ein wenig kuhwarme Milch zum Frühstück zu melken.«
»Ein Foto von Ihnen, wie Sie mitten in der Nacht eine Kuh melken, wäre ein gefundenes Fressen für die Nachrichtenmedien«, lachte Larimer.
»Noch besser«, meinte Moran sarkastisch, »Sie könnten die Milch den Russen mit einem fetten Gewinn verkaufen.«
»Das ist nicht so weit hergeholt, wie es klingt«, mischte sich Margolin ein, der ein Stück weiter weg saß. »Milch und Butter sind aus den staatlichen Lebensmittelgeschäften in Moskau so
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