Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
Vom Netzwerk:
Gelegenheiten immer den Wagen im Auge behalten hatte – denn das war für ihn der Gegner –, blickte er jetzt auf den letzten fünfhundert Metern auf die Jungen, als seien sie seine Hauptkonkurrenten.
    Und kein Zweifel, er hatte Schwierigkeiten. So gut er auch in Form war, diese kleinen Bündel aus Sehnen und Knochen, die er gezeugt hatte, waren ebenso schnell wie er und besaßen zudem die Zähigkeit der Jugend. Er mußte seine ganze Kraft aufbieten, um mit ihnen Schritt zu halten. Und es gab sogar einen recht kritischen Augenblick, wo er stolperte und von den dahinrasenden Jungen eingeschlossen wurde; es schien, als ob alles verloren sei, aber in Jock steckte ein Kern aus Stahl. Wild kämpfte er sich durch die Meute, und bis wir zur Straße kamen, war er wieder an der Spitze.
    Aber es hatte ihn arg mitgenommen. Ich verringerte das Tempo und blickte auf Jock hinunter, der mit heraushängender Zunge und fliegenden Flanken am Straßenrand stand. Er mußte das gleiche auch mit anderen Fahrzeugen erlebt haben, und es war kein lustiges Spiel mehr. Es klingt wahrscheinlich albern, wenn ich sage, man könne die Gedanken eines Tieres lesen, aber alles in Jocks Haltung verriet die steigende Befürchtung, daß die Tage seiner Vorherrschaft gezählt seien. Jeden Augenblick konnte ihm jetzt die unvorstellbare Schmach widerfahren, hinter seiner Nachkommenschaft zurückzubleiben, und als ich davonfuhr, blickte Jock mir nach, und er schien zu fragen:
    »Wie lange kann ich das noch mitmachen?«
     
    Ich hatte Mitleid mit dem kleinen Hund, und bei meinem nächsten Besuch, etwa zwei Monate später, bangte mir davor, die endgültige Entwürdigung erleben zu müssen, die ich für unvermeidlich hielt. Doch auf dem Hof herrschte nicht das gewohnte Leben und Treiben.
    Robert Corner war im Kuhstall mit dem Einfüllen von Heu in die Futterraufen beschäftigt. Er drehte sich um, als ich hereinkam.
    »Wo sind denn Ihre Hunde?« fragte ich.
    Er ließ die Heugabel sinken. »Alle weg. Die Nachfrage nach gut abgerichteten Collies ist sehr groß, und ich habe, glaube ich, ein gutes Geschäft mit ihnen gemacht.«
    »Aber Jock haben Sie doch behalten?«
    »Natürlich, das brachte ich nicht übers Herz, mich von dem alten Kerl zu trennen. Er ist da drüben.«
    Und tatsächlich, dort war er, schlich umher wie in alten Zeiten und gab vor, keinerlei Notiz von mir zu nehmen. Und als schließlich der große Augenblick kam und ich losfuhr, war alles wie früher: Entspannt, beglückt über das Spiel, sauste das kleine Tier neben dem Wagen her, schoß mühelos über die Mauer und jagte ohne jede Schwierigkeit dem Wagen voraus zur Straße hinunter.
    Ich glaube, ich war ebenso erleichtert wie er, daß niemand ihm seine Vorherrschaft mehr streitig machte: daß er nach wie vor der Beste war.

Kapitel 2
     
    Es war mein dritter Frühling in den Dales, und er war genau wie die beiden vorhergegangenen und wie alle danach. Das heißt, ein Frühling, wie ein Landtierarzt ihn kennt: das lärmende Durcheinander in den Pferchen, wo die Schafe lammten, das tiefe Geblöke der Mutterschafe und das hohe, beharrliche Brüllen der Lämmer. Darin kündigte sich für mich das Ende des Winters und der Beginn von etwas Neuem an – darin und in dem schneidenden Wind und dem harten, grellen Sonnenschein, der die kahlen Bergrücken überflutete.
    Oben auf dem grasbewachsenen Hang standen in langer Reihe die notdürftig hergerichteten Pferche – Strohballen grenzten sie gegeneinander ab –, in denen sich jeweils ein Mutterschaf mit seinen Lämmern befand. Als ich dort eintraf, sah ich in der Ferne Rob Benson mit zwei Futtereimern näher kommen. Rob hatte alle Hände voll zu tun und ging zu dieser Zeit des Jahres etwa sechs Wochen lang überhaupt nicht zu Bett; er zog allenfalls seine Stiefel aus und döste nachts ein Weilchen am Küchenfeuer, aber er war sein eigener Schafhirte und entfernte sich niemals weit vom Schauplatz des Geschehens.
    »Hab heut zwei Fälle für Sie, Jim.« Sein Gesicht, rissig und gerötet von Wind und Wetter, verzog sich zu einem Grinsen. »Weniger Sie selbst werden gebraucht als vielmehr Ihre kleine Frauenhand, und zwar ziemlich dringend.«
    Er führte mich zu einem größeren Pferch, in dem sich mehrere Schafe befanden. Sie trippelten aufgeregt hin und her, als wir hineingingen, und versuchten zu entkommen, aber mit sicherem Griff hielt Rob eines fest. »Das hier ist das erste. Viel Zeit bleibt uns nicht, wie Sie sehen.«
    Ich hob den wolligen Schwanz

Weitere Kostenlose Bücher