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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Es sieht schlimm aus, glauben Sie’s mir. Ich mag gar nicht hinschauen.«
    »Ich komme sofort.« Ich legte den Hörer auf und lief rasch zum Wagen hinaus. Mir war angst und bange vor dem, was mich dort oben erwartete. Im Geist sah ich die hilflosen Tiere mit durchgebissener Kehle daliegen, über und über mit schrecklichen Wunden bedeckt. Das hatte ich schon erlebt. Einige von den Tieren waren vielleicht noch zu retten und würden genäht werden müssen – in Gedanken überprüfte ich unterwegs den Vorrat an Katgut, den ich im Kofferraum hatte.
    Die trächtigen Schafe befanden sich auf einer neben der Straße gelegenen Weide, und mit klopfendem Herzen blickte ich über den Zaun. Es war noch schlimmer, als ich gefürchtet hatte: Der lange, schmale Grashang war mit niedergestreckten Schafen übersät – es müssen rund fünfzig Stück gewesen sein, die da auf dem Grün lagen.
    Rob stand jenseits des Zauns. Er sah mich kaum an. Machte nur eine Bewegung mit dem Kopf.
    »Sagen Sie mir, was Sie davon halten. Ich trau mich nicht einen Schritt weiter.«
    Ich ließ ihn stehen und ging zwischen den unglücklichen Geschöpfen umher, drehte sie um, hob ihre Beine, teilte das Fell am Hals, um sie zu untersuchen. Sie waren alle mehr oder weniger ohne Bewußtsein; keines von ihnen konnte aufstehen. Mich überkam eine zunehmende Verwirrung, während ich da von einem Tier zum anderen ging. Schließlich rief ich den Bauern.
    »Sehen Sie sich das mal an«, sagte ich, als Rob Benson zögernd näher kam. »Das ist höchst seltsam. Nirgends auch nur ein Tropfen Blut oder eine Wunde, und trotzdem liegen sie alle wie tot da. Ich verstehe das nicht.«
    Rob beugte sich vor und hob sanft den kraftlos herabhängenden Kopf eines Schafes. »Ja, Sie haben recht. Verflixt noch mal, was ist denn bloß mit ihnen los?«
    Auf der Stelle wußte ich ihm keine Antwort zu geben, aber irgendwo in meinem Kopf regte sich eine schwache Erinnerung. Irgendwie war mir der Anblick des Schafes vertraut, das der Bauer da gerade angefaßt hatte. Es war eines von den wenigen, die imstande waren, sich auf die Brust zu stützen, und es lag mit ausdruckslosen Augen da, blind gegen alles; aber... dieses trunkene Nicken des Kopfes, dieses wäßrige Nasensekret... das hatte ich schon gesehen. Ich kniete mich neben das Schaf, und als ich mein Gesicht dicht an das seine legte, hörte ich bei jedem seiner Atemzüge ein schwaches gurgelndes Geräusch, beinahe wie ein Rasseln. Da wußte ich Bescheid.
    »Kalziummangel«, rief ich und eilte den Hang hinunter zum Wagen.
    Rob lief neben mir her. »Aber wieso denn? Daran leiden sie doch erst nach dem Lammen, oder?«
    »Ja, für gewöhnlich«, erwiderte ich atemlos. »Aber plötzliche Anstrengung oder Schreck können ihn ebenfalls verursachen.«
    »Das hab ich nicht gewußt«, keuchte Rob. »Wie kommt das?«
    Ich schwieg. Mir stand der Sinn im Augenblick nicht danach, ihm einen Vortrag über die Auswirkungen einer plötzlichen Funktionsstörung der Nebenschilddrüse zu halten, sondern ich fragte mich voller Sorge, ob mein Kalziumvorrat wohl für fünfzig Schafe ausreichte. Doch aus dem Kofferraum blickte mir glücklicherweise eine lange Reihe von runden Blechverschlüssen entgegen; offenbar hatte ich meine Vorräte kürzlich erst aufgefüllt.
    Beim ersten Schaf machte ich eine intravenöse Injektion, um meine Diagnose zu prüfen – Kalzium wirkt sofort bei Schafen –, und beobachtete mit freudiger Erregung, wie das bewußtlose Tier zu blinzeln begann, sich schüttelte und dann versuchte, sich auf die Brust zu drehen.
    »Die anderen spritzen wir unter die Haut«, sagte ich. »Das spart Zeit.«
    Schaf für Schaf arbeitete ich mich das Feld hinauf. Rob zog das Vorderbein des jeweiligen Schafes nach vorn, so daß ich die Nadel in den kleinen Flecken nackter Haut knapp über dem Ellbogen einstechen konnte; und ich war kaum auf halber Höhe des Hanges angelangt, da wanderten die Schafe unten bereits umher und beugten sich über Futtertröge und Heuraufen.
    Es war eines der befriedigendsten Erlebnisse meiner Praxis. Keine große Tat, aber eine magische Verwandlung: innerhalb weniger Minuten von Verzweiflung zu Hoffnung, vom Tod zum Leben.
    Ich warf die leeren Fläschchen in den Kofferraum, als Rob zu mir trat. Er blickte staunend zu dem Schaf ganz oben auf dem Hang hinauf, das ich zuletzt behandelt hatte und das sich jetzt auf die Füße rappelte.
    »Also, Jim, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Aber wissen Sie, eins begreife ich

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