Was am See geschah
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A m Abend vor einem Feiertag rechnete man im Rainbow Café immer mit dem Riesengeschäft. Maud stellte ein warmes Roastbeefsandwich und Kartoffelbrei auf die Theke und fragte sich, wie Shirl bloß darauf kam, daß ein plötzlicher Massenandrang bevorstand. Ubub und Ulub Wood hatten als einzige an der Theke gesessen und gegessen, was sie immer aßen: das Tagesgericht. Ubub und Ulub hießen eigentlich anders, doch das war längst in Vergessenheit geraten. Dodge Haines oder Sonny Stuck - einer von beiden hatte beschlossen, sie nach ihren Autokennzeichen zu benennen: UBB und ULB. Sie fuhren schwarze, zerbeulte Ford Pickups, die einander glichen wie ein Ei dem anderen. Keiner verstand, wie sie es geschafft hatten, ihre Autos auf die gleiche Weise zu zerbeulen, so daß sie sich einzig und allein durch das Kennzeichen unterschieden.
Maud hatte an diesem Tag nicht zur Arbeit gehen wollen, war dann aber doch gegangen. Sie hatte zu Hause bleiben wollen, aber es war das Wochenende vom Labor Day, und so hatte sie schließlich beschlossen, eine Stunde später als sonst hinzugehen. Shirl hatte es nicht einmal bemerkt, trotz ihrer Voraussage, daß es voll werden würde.
Sie ließ Kaffee in einen weißen Becher laufen und stellte ihn vor Ulub hin, der kein Wort von sich gab; er sagte nie etwas. Maud fragte sich, ob er überhaupt schon einmal etwas gesagt hatte. Da er immer das Tagesgericht wollte, wußten Shirl und Charlene auch so, was sie ihm zu bringen hatten. Wenn es überhaupt etwas zu sagen gab, so erledigte das Ubub für beide.
Shirl rief von einem hohen Hocker hinter der Registrierkasse eine Doughnut-Kaffee-Bestellung aus und schob das Zeug über die schwarze Theke dem Teenager entgegen. Sie gab ihm das Wechselgeld und bedachte ihn mit einem giftigen Blick, als habe er sie mit gezückter Pistole gezwungen, die Kasse zu öffnen. Er ging.
Als der Junge das Café verlassen hatte und am Fenster vorbeimarschierte, wandte Shirl sich an Maud und begann, sich über »dieses kleine Miststück« auszulassen. Nicht dasjenige, welches gerade gegangen war, sondern ihren Sohn. Wahrscheinlich erinnerte sie jeder junge Mann in diesem Alter an ihren Sohn. Er hieß Joseph, und sie sprach ihn nur dann mit seinem Namen an, wenn sie gerade mal nicht wütend auf ihn war, was selten vorkam. Alle anderen nannten ihn Joey. Er war »das kleine Miststück«; sein Vater, der sie direkt nach Joeys Geburt verlassen hatte, hieß immer noch »das große Miststück«. Charlene sagte immer wieder zu Shirl, sie solle doch froh sein, daß er sich nicht bekiffe und von Dächern runterflöge.
»Das kleine Miststück ist zu faul zum Fliegen, und selbstverständlich nimmt er keine Drogen - dann hätte er ja weniger Zeit für seine Ladendiebstähle. Joey hatte am Tag zuvor im SuperSpar-Diskontladen eine Sonnenbrille mitgehen lassen. Shirl hatte es Charlene von einem Ende der Theke zum anderen zugerufen, während sie einem Kunden eine schmucklose weiße Tortenschachtel hinschob. Zitronenbaiserkuchen war immer die »Torte des Tages«, außer an Thanksgiving und Weihnachten, wo Charlene dann die Tafel abwischte und »Kürbiskuchen« darauf schrieb.
Joey kam fast jeden Tag zum Mittagessen, und Maud brachte ihm dann sein Lieblingsgericht - Rindfleischeintopf - und schmierte ihm vier Butterbrote. Meistens war er nicht in der Schule - eine zeitweilige Beurlaubung, geflogen war er bisher noch nicht -, und Shirl führte sich auf wie ein Polizeiaufseher. Der Junge hatte ein blasses kleines Gesicht und ein Lächeln wie ein Nebelstreif, kaum zu sehen und schon zerstoben, als habe es in der Vergangenheit einmal etwas gegeben, das ein Lächeln lohnte, eine Erinnerung, die sich verflüchtigt hatte.
Shirl schlurfte zu ihm hin und legte los, beschimpfte ihn als »Joseph dies« und »Joseph das«, stellte ihm je nach Jahreszeit alle möglichen Fragen: ob er den Rasen gemäht, die Blätter gerecht, den Schnee geschaufelt habe? Sie hörte erst auf, wenn er die vierte Scheibe Brot gegessen hatte, steckte sich dann eine weitere Zigarette an und schlurfte wieder davon. Dann goß Maud ihm die zweite Tasse Kaffee ein. Er schenkte ihr sein flüchtiges Lächeln, bekundete ihr sein Beileid, weil sie hier arbeiten mußte, knüllte seine Serviette zusammen und verschwand. Das war das Ritual, wenn er mal wieder Schulverbot hatte, weil er Schließfächer aufgebrochen oder den Mathematiklehrer Perversling, Drecksack oder fiese Ratte genannt hatte. Fünf Tage in der Woche sah Maud ihn
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