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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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und kam auf uns zugestiefelt.
    »Das ging aber schnell, Jeff«, sagte Mr. Clark.
    »Ja, es traf sich gut. Ich war auf dem Hof von Jenkinson hier in deiner Straße, Willie. Dort hat man mich angerufen.« Er lächelte mir mit besonderer Liebenswürdigkeit zu.
    Wie immer betrachtete ich Jeff Mallock mit staunendem Interesse. Er war ein Mann um die Vierzig, und mehr als die Hälfte seines Lebens hatte er damit verbracht, in verwesenden Kadavern herumzuwühlen. Er hatte die klaren Augen und die glatte rosige Haut eines Zwanzigjährigen, und dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch die gelassene Heiterkeit seines Ausdrucks. Soviel ich wußte, kümmerte Jeff sich bei seiner Arbeit nicht im geringsten um irgendwelche hygienischen Vorsichtsmaßregeln, wie zum Beispiel, sich die Hände zu waschen, und ich habe ihn mehr als einmal in der Abdeckerei auf einem Haufen Knochen sitzen und mit schmutzigen Händen genüßlich ein Käsebrot verzehren sehen.
    Er warf einen flüchtigen Blick auf die Kälber. »Seh schon, ein typischer Fall von Lungenstauung. Gibt es zur Zeit häufig.«
    Mr. Clark sah mich scharf an. »Lungenstauung? Davon haben Sie kein Wort gesagt, junger Mann.« Wie alle Bauern hatte er blindes Vertrauen zu Jeffs Diagnose.
    Ich murmelte irgend etwas. Es hatte keinen Sinn, ihm zu widersprechen, das wußte ich aus Erfahrung. Die erstaunliche Fähigkeit des Abdeckers, auf Anhieb sagen zu können, was einem Tier fehlte oder woran es verendet war, hatte mich schon oft in Verlegenheit gebracht. Er brauchte das Tier nicht erst lange zu untersuchen – er wußte, was los war, und von allen eindrucksvollen Krankheiten, die er auf Lager hatte, war Lungenstauung ihm die liebste.
    Er wandte sich an den Bauern. »Es ist wohl das beste, wenn ich sie gleich wegbringe, Willie. Sie machen’s doch nicht mehr lange.«
    Ich bückte mich und strich mit der Hand über den harten kleinen Schädel des Kälbchens direkt vor meinen Füßen. Unter meinen Fingern fühlte ich die winzigen Ansätze der Hörner. Ich hob den Kopf etwas, doch als ich die Hand zurückzog, fiel er schlaff aufs Stroh, und mir kam es vor, als läge in dieser Bewegung etwas von Endgültigkeit und Resignation.
    Meine Gedanken wurden durch das Aufheulen von Jeffs Motor unterbrochen. Er wendete den Wagen und fuhr rückwärts dicht an die Stalltür heran, und als der hohe Kasten den Eingang verdunkelte, verdichtete sich die Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit im Stallinneren. Nun sollten diese kleinen Tiere, die in ihrem kurzen Leben bereits zwei traumatische Reisen durchgemacht hatten, ihre letzte antreten, die schicksalsschwerste und abscheulichste.
    Jeff Mallock kam wieder herein. Er pflanzte sich neben dem Bauern auf und sah mich an, wie ich da im Stroh zwischen den armseligen kleinen Tieren hockte. Beide warteten darauf, daß ich mich geschlagen gab.
    »Vergessen Sie nicht, Mr. Clark«, sagte ich, »selbst wenn wir nur eins von den Tieren retten, würde das Ihren Verlust verringern.«
    Der Bauer sah mich ausdruckslos an. »Aber sie sind doch alle am Verenden, Sie haben es doch selbst gesagt.«
    »Ja, schon...«
    »Ich weiß, worum es Ihnen geht.« Plötzlich lachte er. »Sie möchten zu gern einen Versuch mit den kleinen blauen Tabletten machen, stimmt’s?«
    Ich erwiderte nichts, sondern sah nur stumm bittend zu ihm auf.
    Er sagte nichts darauf, doch nach einer Weile legte er Mallock die Hand auf den Arm. »Jeff, wenn der junge Mann so besorgt um mein Vieh ist, muß ich ihm den Willen tun. Es macht dir doch nichts aus, oder?«
    »Nein, ganz und gar nicht«, erwiderte Jeff gelassen. »Kann sie ebensogut morgen abholen.«
    »Dann wollen wir uns die Anweisung ansehen.« Ich fischte den beigelegten Zettel aus der Dose, las ihn rasch durch und berechnete die für die Kälber in Frage kommende Dosis. »Wir beginnen mit einem Sulfonamid-Stoß, am besten mit jeweils zwölf Tabletten und dann alle acht Stunden wieder jeweils sechs.«
    »Und wie wollen Sie erreichen, daß sie die Dinger schlucken?« fragte der Bauer.
    »Wir müssen die Tabletten zerkleinern und in Wasser auflösen.«
    In der Küche borgte ich mir Mrs. Clarks Kartoffelstampfer aus und zerklopfte insgesamt 60 Tabletten. Dann füllte ich Wasser auf, und wir kehrten in den Stall zurück. Wir mußten sehr behutsam vorgehen, denn die kleinen Geschöpfe waren so schwach, daß sie nur mit Mühe schlucken konnten, aber Mr. Clark hielt das Tier am Kopf fest, während ich ihm die Medizin seitlich ins Maul

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