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Tierarzt

Tierarzt

Titel: Tierarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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ausstieß.
    Das war der Augenblick, wo Mr. Dowson die Fassung verlor. Die Pfeife rutschte ihm aus dem Mund, er stopfte sie schnell in die Tasche und trat an Tristans Seite.
    »Fehlt Ihnen was, junger Mann?« fragte er heiser.
    Mein Kollege, dessen Gesicht eine einzige Leidensmiene war, erwiderte nichts.
    Der Bauer versuchte es ein zweites Mal. »Soll ich Ihnen ’ne Tasse Tee bringen?«
    Tristan reagierte nicht sofort, nickte dann aber mit geschlossenen Augen.
    Mr. Dowson eilte hinaus und kehrte nach wenigen Minuten mit einem dampfenden Becher zurück. Ich schüttelte ungläubig den Kopf, so überrascht war ich von dem Bild, das sich mir bot: behutsam flößte dieser mürrische Bauer dem jungen Mann, dessen Kopf er liebevoll mit seiner schwieligen Hand stützte, schluckweise den Tee ein. Tristan hatte den Arm noch immer im Inneren der Kuh, wirkte noch immer ganz benommen vor Schmerz, ließ aber die Fürsorge des Bauern dankbar über sich ergehen.
    Mit einem kräftigen Ruck brachte er ein Bein des Kälbchens zum Vorschein, wofür er sofort mit einem großen Schluck Tee belohnt wurde. Das übrige war nun nicht mehr schwer: bald folgte das zweite Bein und gleich darauf das ganze Kälbchen.
    Als das kleine Geschöpf zappelnd auf dem Boden lag, ließ Tristan sich neben ihm auf die Knie fallen und streckte zitternd die Hand nach einem Heubündel aus, um das Neugeborene abzureiben.
    Doch davon wollte Mr. Dowson nichts wissen.
    »George! Komm rein und reib das Kälbchen ab!« befahl er barsch einem seiner Leute draußen im Hof. Dann wandte er sich besorgt an Tristan. »Kommen Sie, junger Mann, Sie müssen ’n Schluck Brandy trinken. Sie sind ja völlig erschöpft.«
    In der Küche sah ich staunend zu, wie mein Kollege sich mit Hilfe etlicher Martell der besten Sorte langsam wieder erholte. So bevorzugt war ich nie behandelt worden, und ich überlegte mir neidvoll, ob es nicht ratsam sei, mir Tristans Methode anzueignen.
    Aber bis zum heutigen Tage habe ich nicht den Mut aufgebracht, es damit zu versuchen.

Kapitel 27
     
    Merkwürdig, doch mit den auf ihr Hinterteil gepappten Schildern glichen die kleinen Kälbchen wahren Jammergestalten. Es waren Zettel vom Viehmarkt, durch die die Rolle der kleinen Geschöpfe als hilflose Handelsware unübersehbar hervorgehoben wurde.
    Als ich den nassen Schwanz eines der Tiere hob und das Thermometer einführte, lief aus dem Rektum sofort dünnflüssiger Kot.
    »Es ist leider immer dasselbe, Mr. Clark«, sagte ich.
    Der Mann zuckte die Achseln und schob die Daumen unter die Hosenträger. In dem blauen Overall und der spitz zulaufenden Gepäckträgermütze sah er nicht nach einem Bauern aus, und auch das kleine Anwesen hatte nur wenig Ähnlichkeit mit einem Bauernhof: Die Kälber standen in einem umgebauten Eisenbahnwagen, um den herum ein verwirrendes Konglomerat von verrosteten Landwirtschaftsgeräten, ausrangierten Waggonteilen und zerbrochenen Stühlen lag. »Eine wahre Plage, ich weiß. Was glauben Sie, wie froh ich wäre, wenn ich meine Kälber nicht auf Versteigerungen zu kaufen brauchte. Die hier machten einen völlig gesunden Eindruck, als ich sie vor zwei Tagen erwarb.«
    »Ja, das glaube ich Ihnen gern.« Ich blickte auf die fünf jungen Rinder, die mit gekrümmtem Rücken zitternd dastanden. »Aber sie haben in ihrem jungen Leben auch schon allerhand erlebt, das sieht man deutlich. Kaum eine Woche alt, hat man sie von der Mutter getrennt und sie meilenweit in einem zugigen Güterwagen in die Stadt befördert, wo sie stundenlang auf dem Markt gestanden haben. Schließlich die Fahrt hierher bei diesem kalten Wetter. Das war einfach zuviel für sie.«
    »Aber ich hab ihnen gleich ’ne ordentliche Portion Milch vorgesetzt. Sie sahen ziemlich ausgehungert aus, und ich dachte mir, das tut ihnen gut.«
    »Ja, das sollte man annehmen. Aber leider ist eine so gehaltvolle Nahrung reines Gift für den Magen, wenn die Tiere durchgefroren und müde sind. Beim nächstenmal sollten Sie ihnen vielleicht nur warmes Wasser geben, allenfalls mit etwas Traubenzucker vermischt, und sie dann bis zum nächsten Tag ganz in Ruhe lassen.«
    ›Weiße Diarrhöe‹ wurde diese Krankheit genannt. Sie tötete alljährlich viele Tausende von Kälbern, und mich durchlief jedesmal ein kalter Schauer, wenn ich den Namen nur hörte, denn die Sterblichkeitsziffer war bedrückend hoch.
    Ich gab jedem der Tiere eine Spritze und drückte Mr. Clark noch ein Päckchen von unserem Adstringens in die Hand, einem

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