Tierarzt
jedesmal reagierte er auf die gleiche theatralische Art. Und er hatte Erfolg damit! Alle zeigten sich zutiefst besorgt. Noch etwas anderes kam hinzu: Er verbesserte mit dieser Komödie zugleich sein Image. Ich war sehr froh darüber. Die Bauern von Yorkshire sind nicht leicht zu beeindrucken, und wenn Tristan das mit seiner Methode erreichte, sollte es mir recht sein.
Doch ob er heute damit durchkam, bezweifelte ich. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Mark Dowson irgendwelches Mitgefühl aufbrachte. Ich hatte im Lauf der Jahre auf diesem Hof schon allerlei erlebt, doch es hatte ihn offensichtlich nicht im geringsten berührt.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, fuhr ich bis dicht an den Stall heran und ging hinein. Tristan schob gerade den Arm in eine große rotbraune Kuh, während der Bauer, in einer Hand die Pfeife, den Schwanz hielt. Mein Kollege begrüßte mich mit einem freundlichen Lächeln, während Mr. Dowson lediglich kurz nickte.
»Wie steht’s, Triss?« fragte ich.
»Beide Beine nach hinten und weit drinnen«, erwiderte er. »Sehen Sie sich die Länge des Beckens an.«
Ich wußte, was er meinte. An sich war die Lage des Kälbchens gut, aber bei so langgestreckten Kühen konnte sie ziemlich unbequem sein. Ich lehnte mich gegen die Mauer; es interessierte mich zu sehen, wie Tristan zu Rande kam.
Er straffte sich und langte so tief hinein, wie er nur konnte; genau in diesem Augenblick fing die Kuh an zu pressen, und Tristan befand sich in einer wenig angenehmen Situation: Die starken Kontraktionen des Uterus drücken den Arm erbarmungslos gegen das Becken, und es gilt, die Zähne zusammenzubeißen, bis es vorüber ist.
Tristan ging jedoch ein wenig weiter.
»Oh! Aah! Auuu!« schrie er und stöhnte dann nur noch leise unter dem anhaltenden Druck vor sich hin. Als die Kuh sich schließlich entspannte, blieb er noch eine Weile regungslos mit gesenktem Kopf stehen, als habe der Schmerz ihn völlig entkräftet.
Der Bauer zog an seiner Pfeife und musterte ihn ungerührt. Ich kannte Mr. Dowson nun schon viele Jahre, aber noch nie hatte ich in den kalten Augen oder den harten Zügen auch nur das geringste Anzeichen einer Gemütsbewegung wahrgenommen. Im Grunde hatte ich immer den Eindruck gehabt, selbst wenn ich vor seinen Augen tot umfiele, würde er nicht mit der Wimper zucken.
Tristan kämpfte entschlossen weiter, doch die Kuh, so als fände sie Spaß an der Sache, widersetzte sich ihm energisch. Manche Tiere stehen ruhig da und lassen alles über sich ergehen, aber dieses hier war anders geartet: Auf jede Bewegung des Armes in ihrem Inneren reagierte sie mit einer Anspannung ihrer gesamten Muskulatur.
Tristan verkündete mit einer Reihe von herzzerreißenden Tönen, was er von alledem hielt. Und er hatte ein wirklich erstaunliches Repertoire, das sich von einem langgezogenen, qualvollen Ächzen über schrille Schreie bis zu einem leisen Wimmern erstreckte.
Anfangs schien Mr. Dowson blind und taub dagegen zu sein: er zog gelassen an seiner Pfeife, warf hin und wieder einen Blick durch die Stalltür oder kratzte sich gelangweilt am Kinn. Aber als die Minuten vergingen, richteten sich seine Augen immer häufiger auf die leidende Kreatur vor ihm, bis seine ganze Aufmerksamkeit auf den jungen Mann gelenkt war.
Und es lohnte sich wahrhaftig, Tristan zu beobachten, denn zu seinen Klagelauten kam jetzt noch ein eindrucksvolles Mienenspiel hinzu: er blies die Backen auf, rollte mit den Augen, öffnete den Mund, verzog die Lippen – schnitt praktisch jede nur denkbare Grimasse. Und es bestand kein Zweifel, seine Vorstellung beeindruckte Mr. Dowson. Er ließ deutliche Anzeigen steigender Beunruhigung erkennen und warf meinem Kollegen besorgte Blicke zu. Ebenso wie ich glaubte er offensichtlich, daß eine schreckliche Krise unmittelbar bevorstand.
Als wolle sie die Sache endlich zum Abschluß bringen, setzte die Kuh zu einer letzten Anstrengung an. Sie spreizte die Beine, grunzte tief und fing energisch an zu pressen. Als ihr Rücken sich wölbte, öffnete Tristan den Mund zu einem tonlosen Protest, dann drangen kleine, keuchende Schreie von seinen Lippen. Das hier, dachte ich im stillen, war wirklich seine bisher beste Darbietung: ein langgezogenes »Aah... aah... aah...«, das allmählich die Tonleiter hinaufkroch und eine zunehmende Spannung bei seinen Zuhörern erzeugte. Meine Zehen verkrampften sich vor Schreck, als er mit großartiger zeitlicher Abstimmung plötzlich einen durchdringenden Schrei
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