Tiere essen
produzieren inzwischen 60 Prozent des Schweinefleischs in Amerika.)
Das ist Teil eines umfassenderen Wandels. 1930 war noch über ein Fünftel der amerikanischen Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt. Heute sind es noch zwei Prozent. Und das, obwohl sich die landwirtschaftliche Produktion zwischen 1820 und 1920 verdoppelt hat, zwischen 1950 und 1965 erneut, ebenso zwischen 1965 und 1975, und sich in den nächsten zehn Jahren noch einmal verdoppeln wird. 1950 produzierte ein Farmer genug, um 15,5 Verbraucher zu versorgen. Heute versorgt er 140. Das ist eine deprimierende Entwicklung, nicht nur für die Gemeinden, die genau wussten, was sie an ihren kleinen und mittleren Farmern hatten, sondern auch für die Farmer selbst. (Amerikanische Farmer sind viermal so selbstmordgefährdet wie der Durchschnitt der Bevölkerung.) Heutzutage ist so gut wie alles – Futter, Wasser, Beleuchtung, Heizung, Belüftung, sogar das Schlachten – automatisiert. Die einzigen Arbeitsplätze, die in der Massentierhaltung entstehen, sind entweder bürokratische Schreibtischjobs (wenige) oder ungelernte, gefährliche und schlecht bezahlte Hilfsjobs (viele). In der Massentierhaltung gibt es keine Farmer.
Vielleicht spielt das auch keine Rolle. Die Zeiten ändern sich. Vielleicht ist die Vorstellung vom sachkundigen Farmer, der sich um seine Tiere und unser Essen kümmert, reine Nostalgie, wie die von der Telefonistin, die unsere Gespräche durchstellt. Und vielleicht rechtfertigt das, was wir im Tausch dafür bekommen, Farmer gegen Maschinen, dieses Opfer.
»So können wir Sie nicht gehen lassen«, sagt eine der Arbeiterinnen. Sie verschwindet ein paar Sekunden und kommt mit einem Pappteller zurück, auf dem sich ein Berg rosaroter Schinkenscheiben türmt. »Was wären wir denn für Gastgeber, wenn wir unseren Gast nicht mal kosten ließen?«
Mario nimmt eine Scheibe und steckt sie sich in den Mund.
Ich will das nicht essen. Ich will im Augenblick überhaupt nichts essen, die Bilder und Gerüche des Schlachthofs habenmir den Appetit geraubt. Und ganz bestimmt will ich nicht essen, was da auf dem Teller liegt, denn das war vor nicht allzu langer Zeit Teil eines Schweins draußen im Gehege. Vielleicht ist gar nichts dabei, es zu essen. Aber irgendwas tief in meinem Bewusstsein – ob vernünftig oder unvernünftig, ob ästhetisch oder ethisch, ob egoistisch oder mitfühlend – will dieses Fleisch nicht in meinem Körper haben. Für mich ist dieses Fleisch nicht zum Verzehr geeignet.
Aber etwas anderes tief in meinem Bewusstsein will das Fleisch essen. Ich möchte Mario sehr gern zeigen, wie sehr ich seine Großzügigkeit zu schätzen weiß. Und ich möchte ihm sagen können, dass aus seiner harten Arbeit leckeres Essen wird. Ich möchte sagen: »Toll! Schmeckt großartig!«, und noch ein Stück nehmen. Ich möchte »das Brot mit ihm brechen«. Nichts – kein Gespräch, kein Handschlag, nicht mal eine Umarmung – besiegelt Freundschaft so deutlich wie gemeinsames Essen. Vielleicht ein kulturelles Phänomen. Vielleicht ein Nachhall der gemeinschaftlichen Mahlzeiten unserer Vorfahren.
Und darum geht es in gewisser Hinsicht auf einem Schlachthof. Vor mir auf dem Teller liegt der Zweck, der die blutigen Mittel nebenan zu heiligen verspricht. So etwas habe ich immer wieder von Menschen gehört, die Tiere zum Verzehr aufziehen, und nur so lässt sich die Gleichung aufmachen: Das Essen – wie es schmeckt, wozu es dient – rechtfertigt den Prozess, der es auf den Teller gebracht hat, oder eben nicht.
Für einige Menschen wäre er in diesem Fall gerechtfertigt. Nicht für mich.
»Ich lebe koscher«, sage ich.
»Koscher?«, fragt Mario nach.
»Genau.« Ich gluckse. »Ich bin Jude. Und lebe koscher.«
Der ganze Raum verstummt, als müsste die Luft selbst diese neue Information verarbeiten.
»Irgendwie komisch, dann über Schweinefleisch zu schreiben«, sagt Mario. Ich habe keine Ahnung, ob er mir glaubt, ob er mich versteht und ich ihm leidtue oder ob er mir misstrautund beleidigt ist. Vielleicht weiß er, dass ich lüge, aber versteht mich und ich tue ihm leid. Alles scheint möglich. »Ja, irgendwie komisch«, wiederhole ich. Ist es aber nicht.
2.
Albträume
DIE SCHWEINE , die bei Paradise Locker Meats geschlachtet werden, kommen meist von den wenigen übrig gebliebenen Schweinefarmen im Land, die noch keine Massentierhaltung betreiben. Das Fleisch, das in so gut wie jedem Supermarkt und Restaurant angeboten wird, stammt aus
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