Tiere essen
letzte Methode möchte ich die Ringwadenfischerei be schreiben, mit der Amerikas beliebtester Fisch, der Thunfisch, gejagt wird. Dabei wird eine Art Netzwand ringförmig um einen Schwarm Fische gezogen, und wenn dieser vollständig eingekreist ist, wird das untere Ende des Netzes mit einer Schnürleine zugezogen. Die gefangenen Zielfische und alle anderen Lebewesen in der näheren Umgebung werden dann langsam eingeschnürt und an Deck gehievt. Fische, die sich im Netz verfangen haben, können dabei langsam in Stücke gerissen werden. Doch die meisten gefangenen Meerestiere sterben erst an Deck, wo sie entweder langsam ersticken oder ihnen bei vollem Bewusstsein die Kiemen aufgeschnitten werden. Manchmal werden die Tiere aus Gründen der Kühlung direkt auf Eis geworfen, was ihr Ster ben noch verlängert. Nach einer aktuellen Untersuchung, die in der amerikanischen Zeitschrift Applied Animal Behaviour Science veröffentlicht wurde, kann sich der langsame und schmerzhafte Tod von Fischen, die bei vollem Bewusstsein auf Eisbrei gewor fen werden (was sowohl wild gefangenen wie in Farmen gezüchteten Fischen passiert), über 14 Minuten hinziehen.
Ist das wichtig? So wichtig, dass wir unsere Essgewohnheiten ändern sollten? Vielleicht brauchen wir ja bloß eine bessere Etikettierung, damit wir klügere Entscheidungen treffen können, welche Fische und Fischprodukte wir kaufen? Welche Entscheidung würden die meisten wählerischen Allesesser wohl treffen, wenn an jedem Stück Lachs, das sie essen, ein Etikett klebte, das ihnen mitteilte, dass 80 Zentimeter lange Aquakulturlachse ihr ganzes Leben in einer Badewannenmenge Wasser verbringen müssen und dass die Augen der Tiere wegen der Wasserverschmutzung bluten? Und wenn das Etikett auch die explosionsartige Vermehrung der Parasiten, die Zunahme der Krankheiten, das deformierte Erbgut und die neuen, gegen Antibiotika resistenten Erreger, die in Lachsfarmen entstehen, erwähnen würde?
Aber für manches brauchen wir auch gar keine Etiketten. Es ist zwar eine durchaus realistische Annahme, dass immerhin ein gewisser Anteil aller Kühe und Schweine rasch und sorgfältig geschlachtet wird, doch kein Fisch stirbt einen guten Tod. Nicht ein einziger. Man muss sich nicht fragen, ob der Fisch, den man gerade auf dem Teller hat, wohl gelitten hat. Er hat. Auf jeden Fall.
Egal, ob wir über verschiedene Fischarten oder über Schweine oder über andere Tiere reden, die gegessen werden: Ist solches Leiden das Allerwichtigste auf der Welt? Ganz bestimmt nicht. Aber das ist auch nicht die Frage. Ist es wichtiger als Sushi, Schinken oder Chicken Nuggets? Das ist die Frage.
6.
Tiere essen
UNSERE ESSENSENTSCHEIDUNGEN werden dadurch verkompliziert, dass wir nicht allein essen. Tischgemeinschaften haben schon immer soziale Bande gestärkt, soweit archäologische Funde uns erlauben, das zu beurteilen. Essen, Familie und Erinnerung sind seit Urzeiten miteinander verbunden. Wir sind nicht bloß Tiere, die essen, sondern essende Tiere.
Einige der mir wichtigsten Erinnerungen sind mit den wöchentlichen Sushi-Dinners mit meinem besten Freund, den Puten-Burgern meines Vaters, mit Senf und gegrillten Zwiebeln, die ich bei Gartenfesten aß, und dem salzigen Geschmack von Gefilte Fisch beim Pessachmahl im Haus meiner Großmutter verbunden. Solche Anlässe sind ohne das entsprechende Essen einfach nicht dasselbe – und das ist wichtig.
Auf den Geschmack von Sushi oder Brathähnchen zu verzichten ist ein Verlust, der weit über das genussvolle Essenserlebnis hinausgeht. Wenn wir unseren Nahrungskatalog ändern und bestimmte Aromen aus unserer Erinnerung tilgen, dann bedeutet das auch einen kulturellen Verlust, eine Art Vergessen. Vielleicht ist es ein Vergessen, das es zu akzeptieren oder garzu kultivieren gilt (man kann auch Vergessen kultivieren). Um mich an die Tiere und meine Sorge um ihr Wohlergehen zu erinnern, muss ich vielleicht bestimmte Geschmackserfahrungen vergessen und mir für die Erinnerungen, die sie mitgetragen haben, andere Vehikel suchen.
Erinnern und Vergessen sind Teil des gleichen geistig-seelischen Vorgangs. Wenn man ein Detail eines Ereignisses aufschreibt, lässt man ein anderes weg (es sei denn, man schreibt endlos weiter). Wenn man sich einer Sache erinnert, lässt man eine andere ins Vergessen gleiten (es sei denn, man erinnert sich endlos weiter). Es gibt ethisches Vergessen und gewaltsames Vergessen. Wir können nicht alles behalten, was wir erfahren und gelernt
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