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Tiere essen

Tiere essen

Titel: Tiere essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Fragezeichen), gäbe es keine schlagenden ökologischen Argumente gegen ihre Form der Landwirtschaft.
    Es stimmt natürlich, dass jede Form des Tierverzehrs notwendigerweise die Massentierhaltung unterstützt, wenn auch indirekt, indem sie die Nachfrage nach Fleisch erhöht. Das ist gar nicht so nebensächlich, aber dennoch nicht der Hauptgrund, warum ich kein Schweinefleisch von Paul Willis’ oder Geflügel von Frank Reeses Hof essen würde – und es fällt mir schwer, diesen Satz zu schreiben, denn ich weiß, dass Paul und Frank, die inzwischen meine Freunde sind, ihn lesen werden.
    Paul tut, was er kann, doch auch seine Schweine werden kastriert, und sie werden über weite Strecken zum Schlachthof transportiert. Und bevor er Diane Halverson kennenlernte, die Tierschutzexpertin, die seine Arbeit für Niman Ranch von Anfang an unterstützte, kupierte auch er die Schwänze der Schweine, was nur zeigt, dass auch die mitfühlenden Farmermanchmal weniger auf das Wohl ihrer Tiere bedacht sind, als sie könnten.
    Und schließlich die Schlachthöfe. Frank spricht ganz offen darüber, wie schwierig es ist, seine Truthähne auf eine für ihn akzeptable Weise schlachten zu lassen – den optimalen Schlachthof für seine Vögel hat er noch nicht gefunden. Was die Schweineschlachtung betrifft, ist Paradise Locker Meats tatsächlich eine Art Paradies. Doch die strukturelle Organisation der amerikanischen Fleischindustrie und die Bestimmungen des Agrarministeriums zwingen Paul und Frank, ihre Tiere in Schlachthöfe zu schicken, über deren Tun sie nur sehr begrenzte Kontrolle haben.
    Wie alles hat auch jeder landwirtschaftliche Betrieb seine Schwachstellen, ist Fehlleistungen und Unfällen ausgesetzt, arbeitet manchmal nicht nach Plan. Das Leben ist voller Fehler, aber manche zählen mehr als andere. Wie fehlerhaft müssen Viehzucht und Schlachtung sein, damit es zu viel ist? Verschiedene Menschen werden die Grenze unterschiedlich ziehen, wenn es um Betriebe wie die von Paul und Frank geht. Auch Menschen, die ich respektiere, werden sie an anderer Stelle ziehen als ich. Doch für mich – und für meine Familie – sind heute die Bedenken angesichts der Realität der Fleischproduktion, angesichts dessen, was aus Fleisch geworden ist, so groß, dass ich ganz darauf verzichte.
    Natürlich kann ich mir Umstände vorstellen, unter denen ich Fleisch essen würde – sogar solche, unter denen ich einen Hund verzehren würde –, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass ich mich je in solchen Umständen wiederfinden werde. Vegetarier zu sein ist in einigen Bereichen Auslegungssache. Ich für meinen Teil habe mich von einer Geisteshaltung verabschiedet, in der ich ständig Einzelentscheidungen darüber treffe, ob ich ein bestimmtes Tier esse (wer kann das schon ständig aushalten?), und mich entschieden, gar keine mehr zu essen.
    Was mich wieder zum Bild von Kafka bringt, wie er im Berliner Aquarium vor den Fischen steht und sie mit neu gewon nener innerer Ruhe betrachtet, nachdem er beschlossen hatte, keine Tiere mehr zu essen. Für Kafka waren die Fische Teil seiner unsichtbaren Familie – nicht ebenbürtig, aber doch andere Lebewesen, denen sein Mitgefühl galt. Eine ähnliche Erfahrung machte ich bei Paradise Locker Meats. Ich war nicht unbedingt »ruhig«, als mich in Marios Schlachthof unerwartet der Blick eines Schweins traf, das nur noch Sekunden zu leben hatte. (Wa ren Sie schon einmal das Letzte, was jemand im Leben sah?) Aber ich war auch nicht zutiefst beschämt. Das Schwein war kein Behältnis meines Vergessens, sondern meines Mitgefühls. Das erleichterte mich, erleichtert mich immer noch. Für das Schwein spielt meine Erleichterung keine Rolle. Aber für mich. Und das gehört zu meiner Einstellung zum Essen von Tieren. Wenn ich nur meine Seite betrachte – die des essenden Tieres, nicht die des gegessenen –, fühle ich mich einfach nicht ganz, wenn ich so bewusst, so absichtlich vergesse.
    Und schließlich ist da auch noch meine sichtbare Familie. Jetzt, nach Abschluss meiner Recherchen, werde ich nur noch in seltenen Ausnahmefällen einem Nutztier in die Augen schauen. Doch viele Tage meines zukünftigen Lebens werde ich vielmals am Tag meinem Sohn in die Augen schauen.
    Der Entschluss, keine Tiere mehr zu essen, ist für mich notwendig, aber er ist auch begrenzt und persönlich. Eine Entscheidung, die nur im Kontext meines Lebens und keines anderen fällt. Bis vor ungefähr 60 Jahren wären meine Begründungen

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