Tiere essen
Blumenbeete und Sukkulenten. Über eine sonnendurchflutete Veranda gelangte man direkt ins Wohnzimmer – zwar der größte Raum des Hauses, aber nicht riesig. Ein Kamin aus Natursteinen, vor dem ein dunkles, schweres Sofa stand (eins zum Entspannen, nicht zum Repräsentieren), beherrschte den Raum. Die Regale waren voller Bücher, einige wenige über Landwirtschaft und Nahrung. Wir setzten uns an den Holztisch einer kleinen Essküche, in der es noch nach Frühstück roch.
»Mein Vater war ein russischer Einwanderer«, erklärte Bill. »Als Kind habe ich im Lebensmittelladen der Familie in Minneapolis gearbeitet. Das war mein Einstieg in das Thema Nahrung. Wir alle, die ganze Familie hat dort gearbeitet. Mein Leben hätte ich mir niemals träumen lassen.« Womit er meinte: Wie wird aus einem Amerikaner der ersten Generation, einem jüdischen Stadtkind, einer der wichtigsten Viehzüchter der Welt? Eine gute Frage, auf die es eine gute Antwort gibt.
»Der wichtigste Antrieb für jedermann war damals der Vietnamkrieg. Ich beschloss, Ersatzdienst zu leisten, und arbeitete als Lehrer in staatlich ausgewiesenen Armutsgegenden. So wurde ich mit bestimmten Aspekten des Landlebens vertraut und fing an, mich dafür zu begeistern. Ich baute mit meiner ersten Frau einen Hof auf.« (Nimans erste Frau Amy kam bei einem Unfall auf dem Hof ums Leben.) »Wir kauften etwas Land. Etwa elf Morgen. Wir hatten Ziegen, Hühner und Pferde. Wir waren ziemlich arm. Meine Frau unterrichtete auf einer großen Ranch, und man schenkte uns ein paar Kälber, die einige der jungen Kühe ungeplant zur Welt gebracht hatten.« Diese »ungeplanten« Rinder wurden der Grundstock dessen, was heute Niman Ranch heißt. (Der Jahresumsatz des Unternehmens beträgt inzwischen geschätzte 100 Millionen Dollar – und wächst weiter.)
Als ich die zwei besuchte, war es eher Nicolette als Bill, diedie kleine Ranch der beiden bewirtschaftete. Er war vor allem damit beschäftigt, das Rindfleisch und Schweinefleisch zu verkaufen, das Hunderte kleiner Familienbetriebe für Ni-man Ranch produzierten. Nicolette, die wie eine Rechtsanwältin von der Ostküste wirkt (und früher auch eine war), kannte jede einzelne Färse und Kuh, jeden Stier und jedes Kalb auf ihrem Hof, wusste um deren Bedürfnisse und vermochte sie zu stillen, sah kein bisschen nach Farmerin aus und schien doch ganz in dem, was sie tat, aufzugehen. Bill, der mit seinem buschigen Schnauzbart und der wettergegerbten Haut wie für die Rolle gecastet war, kümmerte sich inzwischen hauptsächlich ums Marketing.
Sie sehen nicht aus wie ein selbstverständlich passendes Paar. Bill wirkt ungeschliffen und instinktgeleitet. Die Sorte Mann, die nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel rasch den Respekt aller Überlebenden erwerben und, wenn auch gegen ihren Willen, zum Anführer erklärt werden würde. Nicolette ist ein Stadtmensch, wortreich, aber aufmerksam, voller Energie und Empathie. Bill ist warmherzig, aber stoisch. Er scheint sich beim Zuhören am wohlsten zu fühlen – was auch gut ist, denn Nicolette scheint sich beim Reden wohler zu fühlen.
»Bills und mein erstes Rendezvous«, erklärt sie, »fand unter Vortäuschung falscher Tatsachen statt. Ich dachte, es sei ein Geschäftsessen.«
»Du hattest vor allem Angst, ich könnte herausfinden, dass du Vegetarierin bist.«
»Na ja, nicht direkt Angst, aber ich hatte eben schon seit Jahren mit Viehzüchtern gearbeitet, und ich wusste, dass für die Fleischindustrie alle Vegetarier Terroristen sind. Wenn du in einer ländlichen Gegend dieses Landes bist und Leuten begegnest, die Tiere zum Schlachten halten, und die kriegen mit, du isst kein Fleisch, dann werden die verspannt. Sie haben Angst, dass du sie pauschal verurteilst oder sogar gefährlich bist. Ich hatte keine Angst, dass du es herausfinden könntest, ich wollte dich bloß nicht in die Defensive drängen.«
»Als wir uns zum ersten Mal zum gemeinsamen Essen an den Tisch setzten –«
»Da habe ich eine vegetarische Pasta Primavera bestellt, und Bill fragte gleich: ›Ach, bist du Vegetarierin?‹ Ich habe Ja gesagt. Und dann hat er etwas geantwortet, was mich überrascht hat.«
2.
Ich bin vegetarische Viehzüchterin
Ungefähr sechs Monate nach meinem Umzug auf die Ranch in Bolinas habe ich zu Bill gesagt: »Ich will hier nicht bloß wohnen, ich will wissen, wie so ein Betrieb funktioniert, ich möchte in der Lage sein, den Laden zu schmeißen.« Also beschäftigte ich mich
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