Tiere essen
Kompendien althergebrachten landwirtschaftlichen Wissens sind, wird auch Frank sein Potenzial sicherlich nicht ohne Hilfe umsetzen können. Rechtschaffenheit, Können und Erbgut allein machen noch keinen erfolgreichen landwirtschaftlichen Betrieb. Als ich ihn kennenlernte, hätte die Nachfrage nach seinen Truthähnen (inzwischen züchtet er auch Hühner) kaum höher sein können – sein Bestand war meist schon sechs Monate vorm Schlachttermin komplett verkauft. Auch wenn seine treusten Kunden eher einfache Leute waren, wurden seine Vögel auch von Spitzenköchen und Feinschmeckern geschätzt, von Dan Barber über Mario Batali bis hin zu Martha Stewart. Dennoch machte Frank Verluste und finanzierte seinen Betrieb mit anderen Jobs.
Frank hat also eine eigene Kükenzucht, braucht aber Zugang zu anderen Dienstleistungen, vor allem zu einem gut geführten Schlachthaus. Dass nicht nur regionale Brütereien, sondern auch Schlachthöfe, Wiegestationen, Kornlager und andere landwirtschaftliche Dienstleistungen verschwinden, ist ein enormer Hemmschuh für eine auf traditionellen Methoden fußende Viehzucht. Es ist nämlich nicht so, dass die Verbraucher die Tiere solcher Landwirte nicht kaufen würden, nur müssen die Landwirte, um produzieren zu können, erst eine zerstörte ländliche Infrastruktur ganz neu aufbauen.
Als ich dieses Buch etwa zur Hälfte geschrieben hatte, rief ich Frank wieder einmal an, um ihm verschiedene Fragen zu Geflügel zu stellen (wie so viele Menschen, die mit Geflügel zu tun haben). Doch seine sanft beruhigende, stets geduldige Alles-wird-gut-Stimme hatte einen panischen Tonfall bekommen. Der einzige Schlachthof, den er gefunden hatte, wo seine Vögel nach für ihn erträglichen (wenn auch längst nicht idealen) Standards geschlachtet wurden, war nach über 100 Jah ren Betrieb von einem Konzern der Agrarindustrie aufgekauft und geschlossen worden. Das war nicht einfach eine Frage der Bequemlichkeit, es gab tatsächlich keinen einzigen Schlacht-betrieb mehr in der Region, der seine Vögel vor Thanksgiving verarbeiten konnte. Frank stand vor einem ungeheuren wirt schaftlichen Verlust und der Aussicht, die ihn noch viel mehr ängstigte – nämlich alle seine Vögel in einer nicht vom USDA genehmigten Schlachtanlage zu töten, woraufhin er sie nicht verkaufen könnte und stattdessen buchstäblich vergammeln lassen müsste.
Die Schließung des Schlachthofs war kein ungewöhnlicher Vorfall. Die elementare Infrastruktur, die kleinere Geflügelfar mer unterstützt hat, ist in den USA inzwischen fast vollstän dig zerstört. In mancher Hinsicht ist das ein normaler Prozess, Konzerne versuchen, Profit zu machen, indem sie sich Zugang zu Ressourcen sichern, der ihren Konkurrenten verwehrt bleibt. Schließlich geht es hier um eine Menge Geld: viele Milliarden Dollar, die entweder unter einer Handvoll Agrarmultis oder unter Hunderttausenden kleinerer Farmer aufgeteilt werden könnten. Doch die Frage, ob Leute wie Frank ökonomisch zermalmt werden oder anfangen, an den 99 Prozent Marktanteil zu knabbern, die momentan der Agrarindustrie gehören, ist keine rein finanzielle. Hier steht die Zukunft eines moralischen Erbes auf dem Spiel, das viele Generationen vor uns mühevoll gestaltet haben. Auf dem Spiel steht alles, was im Namen »des amerikanischen Farmers« und der »Werte des ländlichen Amerika« getan wird – und die Anrufung dieser Ideale ist ungeheuer wirkungsvoll. Milliarden von Dollars an öffentlichen Geldern, mit denen die Landwirtschaft subventioniert wird; eine staatliche Agrarpolitik, die den Zustand unserer Landschaft, unserer Luft, unseres Wassers bestimmt; eine Außenpolitik, die Auswirkungen auf viele globale Problemfelder wie den weltweiten Hunger oder den Klimawandel hat: All das findet in unserer Demokratie im Namen unserer Farmer und der Werte, von denen sie sich leiten lassen, statt. Nur dass sie gar keine Farmer mehr sind, sondern Unternehmen. Und zwar keine traditionellen Unternehmen mit einem Unternehmer an der Spitze (denn auch Unternehmer können ein Gewissen haben), sondern Megakonzerne, die einzig der Profitmaximierung verpflichtet sind. Um den Verkauf zu fördern und ihr Image zu verbessern, fördern sie den Mythos, sie seien Frank Reese, wo sie doch in Wahrheit mit aller Kraft daran arbeiten, den wirklichen Frank Reese und seinesgleichen auszurotten.
Die Alternative ist, dass die kleineren Farmen und ihre Verbündeten – Fürsprecher von Nachhaltigkeit und Tierschutz –
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