Tiffany Duo Band 0119 (German Edition)
einen starken Mann und ehemaligen Marineoffizier, äußerst unbehagliches Gefühl ein. Er bewirkte, dass er am liebsten geweint hätte.
Charly war aus beruflichen Gründen früher schon mehrmals auf einer Intensivstation gewesen, aber noch nie hatte sie mit der Person, die da an all die Schläuche und Monitore angeschlossen war, etwas Gefühlsmäßiges verbunden. Sie hatte damit gerechnet, dass es eine aufwühlende Erfahrung sein würde; sie hatte sich auf Angst, Hilflosigkeit, vielleicht sogar Mitleid seelisch vorbereitet. Nur dass der Anblick des Mannes, der da so leblos und bleich und seiner Würde beraubt hinter der Glasscheibe lag, sie zornig machen könnte, war ihr nie in den Sinn gekommen. Vor allem, weil sie keine Ahnung hatte, gegen wen sich ihr Zorn eigentlich richtete – gegen ihn, gegen sie selbst oder gegen Gott.
Sie öffnete die Glastür und ging zögernd auf sein Bett zu, wobei das Piepsen der Monitore den Takt für ihren eigenen Herzschlag angab und ihr Zorn ihr das Herz schwer machte.
Wie kannst du mir das antun? Ist das jetzt meine endgültige Strafe? Mich allein zu lassen mit dem Gedanken, an deinem Tod schuld zu sein, und einfach so wegzugehen, wo noch so vieles zwischen uns ungeklärt ist? Wie soll ich danach weiterleben?
Sie war entsetzt, wie zerbrechlich er plötzlich wirkte, dieser Mann, der wie ein Riese ihr Leben überragt hatte. Dieser Mann, nach dessen Liebe sie sich verzehrt hatte, nach dessen Beifall sie sich gesehnt hatte, dieser Mann, gegen den sie sich aufgelehnt hatte und vor dem sie schließlich davonzulaufen versucht hatte, nur um herauszufinden, dass sein Schatten sie ihr Leben lang verfolgen würde. Dieser Mann, dem sie so hartnäckig hatte beweisen wollen, dass sie entgegen aller Wahrscheinlichkeit schließlich doch noch etwas aus ihrem Leben gemacht hatte.
Wie oft hatte sie sich in der Vergangenheit, als ihr alles über den Kopf zu wachsen drohte und der Kampf über ihre Kräfte zu gehen schien, an dem Gedanken aufzurichten versucht, dass es für sie kein Zurück gab, bis sie etwas aus sich gemacht hatte entgegen allen Erwartungen ihres Vaters? Und dass sie eines Tages …
eines Tages
zurückkehren würde, um es ihm zu beweisen?
Er hat all diese Jahre darauf gewartet, dass du nach Hause kommst …
“Oh, Gott, welch eine Ironie des Schicksals”, flüsterte sie.
Welch eine schreckliche Ironie war es, nach ihrer Rückkehr entdecken zu müssen, dass es ihr größter Fehler gewesen war, so lange fortzubleiben, nur um ihrem Vater zu beweisen, wie erfolgreich sie war.
“Ich wusste es nicht … ich wusste es nicht”, stammelte sie todunglücklich. “Wie hätte ich es wissen sollen? Du hast mir nie gesagt, dass du mich liebst …”
Und plötzlich wusste sie, dass das der Grund für ihren Zorn war. Dass er es immer gewesen war.
“Wage es nicht, zu sterben”, flüsterte sie verzweifelt, während ihr unversehens eine Träne entschlüpfte und auf die blau geäderte Hand ihres Vaters tropfte. Die Träne schien ihren Schwur zu verraten, den sie vor sich selbst abgelegt hatte, den Schwur, niemals mehr vor ihrem Vater zu weinen, auch wenn er schlief und es nie erfahren würde. Sie fuhr herum und wischte sich wütend mit dem Unterarm über die Augen.
Sie erstarrte. Jemand war da, dort draußen vor der Trennscheibe, ein großer junger Mann, der sie aus vertrauten Augen, die jetzt rotgerändert waren vor Müdigkeit und Sorge, anschaute. Sie erkannte ihn auf Anhieb. Er war das Kleinkind mit dem schlappohrigen Hund auf dem Foto auf dem Kaminsims ihres Vaters, der Junge mit dem Baseballhandschuh, der stolze Schulabgänger.
Er war ihr Sohn.
10. KAPITEL
18. Oktober 1977
Liebes Tagebuch
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Morgen Abend gehe ich mit Kelly Grace und Bobby zum Tanzen. Und mit Richie. Klar.
Ich sollte wirklich glücklich sein, stimmt’s? Schön, ich bin es aber nicht. Ich war noch nie unglücklicher in meinem Leben. Ich habe so Angst, ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich machen soll. Ich kann mit niemandem darüber sprechen. Noch nicht mal Kelly Grace habe ich es bis jetzt erzählt. Wahrscheinlich muss ich es ja, aber … weißt du was? Manchmal denke ich, ich würde lieber sterben.
Ich muss es Colin sagen. Ich habe seit Schulanfang nicht viel von ihm gesehen. Wir reden nicht mehr so häufig miteinander wie früher. Aber ich schätze, das wird sich bald wieder ändern, hm?
Gedanke des Tages: Vermutlich wird eine gute Freundschaft durch nichts mehr verkorkst als durch Sex.
Sie hatte es sich
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